Der Aschermittwoch ist ein bescheidenes Datum. Und damit ist nicht der politische gemeint. Nubbel und Hoppeditz brannten bereits gestern für unsere irdischen und ihre nicht ganz so irdischen Verfehlungen. Längst ist zumindest die närrische Fraktion wieder damit beschäftigt, das eigene System zu reseten. In vierzig Tagen, pünktlich zu Ostern, sollte es auf Anfang stehen. Bis dahin heißt es fasten und sich, wenn schon nicht das eigene, so doch zumindest das weltliche Elend zu Gemüte führen.
Ausgesprochen hervorragend eignet sich dafür Kevin Wignalls Thriller mit dem dramatischen Titel „Die letzte Wahrheit“ (Heyne, 299s, € 7,95). Ein Buch, wie geschaffen für eine belanglose Verfilmung, die „bien sûr“ auch schon in Vorbereitung ist. Aber vielleicht gelingt es ja einem mit einer gehörigen Portion Pathos gesegneten Regisseur, dem zukünftigen Publikum ein wenig Mitleid für den Auftragsmörder Conrad Hirst einzuimpfen, der es bedauernswerterweise nicht schafft, aus seinem Job auszusteigen. Dem Leser jedenfalls will sich nicht erschließen, warum der arme Knabe zu seinem Beruf gekommen ist wie die Jungfrau zum Kinde. Ein bisschen Hemingway & Capa spielen im Jugoslawien-Krieg. Unterdessen seine einzig wahre Liebe verlieren. Traurig. Aber wenig triftig. Vielleicht hätte er sich besser einigeln sollen wie Mortimer Tate in Victor Gischlers Endzeitroman „Die Go-Go-Girls der Apokalypse“ (Piper, 390s, €9,95). Das ändert zwar nichts an seinem tristen Single-Dasein. Doch immerhin überlebt er auf diese Weise den totalen Clash. Allerdings nur um festzustellen, dass sich Welt und Gesellschaft nach ökologischem, ökonomischem und nuklearem Kollaps vollends auf ihre rudimentären Triebfedern besonnen haben. Fressen oder gefressen werden, lautet das Motto, womit dem aufgeschreckten Einsiedler einleuchten sollte, warum sich seine Ex mittlerweile im ältesten und einzigen wieder florierenden Gewerbe der zerfallenen Staaten von Amerika verdingt. Dabei hätte alles so schön sein können auf diesem paradiesischen Planeten. Aber, ach, der Fisch, er stinket vom Kopfe her – oder wie es Dimitri Verhulst in seiner ergötzlich-garstigen Gardinenpredigt „Gottverdammte Tage auf einem gottverdammten Planeten“ (Luchterhand, 159s, €8) formuliert: „Es (das fischige Wesen auf seinem Weg zur Menschwerdung; Anm.d.V.) kann den Versprechungen einer rosigen Zukunft nicht mehr widerstehen und verlässt das kühle Nass […], um sich in ein erschröckliches Monster mit dicken Knochen, Talgdrüsen, meterlangem Gedärm und einer Speckschicht zu verwandeln“ – die es fortan nicht nur zu verteidigen gilt, sondern auch mit aller Macht zu mehren. Kein Wunder, dass sich in diesem Dystopia ein radikaler Widerstand formiert. Im besten Falle. Denn leider siedeln auch rechterhand unserer Arbeitsleistung fördernden Mitte so etliche Querköpfe, die in puncto Radikalität nicht zu übertreffen sind, unter Widerstand aber kaum mehr verstehen als die Fragilität eines Schädelknochens, den es zu zermalmen gilt. Ein solches Exemplar ist es denn auch, das als blindwütiger Computerhacker durch Angelo Petrellas „Nazi Paradise“ (pulp master, 115s, €12,80) pflügt. Diese Fähigkeit ermöglicht ihm, sich mit stets prall gefülltem Konto die Eier zu schaukeln, bis ihn die Staatsgewalt an genau diesen packt, um ihn sich willfährig zu machen. Das Fatale: Eine Festplatte lässt sich defragmentieren, „ein gut 650 Kubikzentimeter großes Stück Dreck: seine Hirnzellen, Kommandeure des Vögelns und Fressens“ (Verhulst) jedoch nur schwerlich neu booten. Also: Obacht, kleine wie großkopferte Fische können stinken. Nicht nur am Aschermittwoch. Entsprechend heißt es, die Fastenzeit nutzen und die Synapsen bis Ostern, spätestens aber bis zur Landtagswahl entkleben. Schließlich lassen sich Nubbel und Hoppeditz nicht jeden Tag ans Kreuz nageln.
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