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Thomas Strässle
Foto: Ayse Yavas

Eine wahre Liebesgeschichte

28. November 2024

Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24

In seinem Bestseller „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ erzählte Milan Kundera von einem Liebespaar, das 1968 aus der Tschechoslowakei durch den Eisernen Vorhang hindurch in die Schweiz flüchtete. Eine ausgedachte Aktion. Thomas Strässle erzählt hingegen die wahre Geschichte einer Flucht, die sich zwei Jahre zuvor zwischen Prag und Zürich ereignete. Ein Schweizer Student lernte Mitte der 1960er-Jahre bei einem Aufenthalt in der damaligen DDR eine Kommilitonin kennen, in die er sich verliebte. Auch sie ist in ihn verliebt, schon das stellt ein Wunder dar. Zumal diese Liebe noch unglaubliche Prüfungen zu bestehen hatte. Der Schweizer besorgt sich einen Studienplatz an der Humboldt Universität, die Beziehung wird enger und er beginnt einen Fluchtplan zu entwickeln, um sie in den Westen zu holen.

Strässle erzählt in seiner „Fluchtnovelle“ die tatsächlich unerhörte Geschichte seiner Eltern, wobei seinem Vater die Heldenrolle zukommt. Dass Strässle dabei so sachlich zu Werke geht, wie es wohl nur ein Schweizer vermag, kommt dem Text sehr zugute. Denn er lässt viel Raum für die Imagination der Liebe. Ausgangspunkt des Fluchtunternehmens sind vertauschte Passbilder, aber darüber hinaus galt es an unglaublich viele Details zu denken. Strässle geht den Plan in kurzen Kapiteln minutiös durch und hält die Spannung hoch, weil die Gefahr des Misserfolgs stets über der Aktion schwebt. Die Existenz des Autors ist zwar der schlagende Beweis dafür, dass die Flucht letztlich geglückt ist, aber unvorhersehbare Geschehnisse, wie ein plötzlich veränderter Passstempel oder ein Studienfreund, der wie aus dem Nichts in Prag auftaucht, verschlagen einem beim Lesen den Atem. Vielleicht gerade weil sie noch so jung waren, sie 21, er 23, wissen die beiden genau, was sie wollen.

Um eine Vorstellung von der Dimension der Aufgabe zu bekommen, die da vor dem Paar aufragte, beschreibt Strässle die Orte, an denen sich das Geschehen abspielte. Verwaltungsgebäude, Parkplätze oder Flughäfen, ungastliche Zonen, an denen einem auch schon einmal der Mut verloren gehen kann. Der Erzähler springt dann jedoch behände von einer kurzen Textpassage zur nächsten, um schließlich in Zürich zu landen. 

Thomas Strässle: Fluchtnovelle | Suhrkamp | 124 S. | 18 Euro

Thomas Linden

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