Man muss nur choices durchblättern, um eine leise Ahnung zu bekommen, wie viele Veranstaltungen allmonatlich in Köln stattfinden. Dabei sind die hier besprochenen, angekündigten und beworbenen Termine nur ein Ausschnitt. Sportveranstaltungen, Kirchen-Basare und Karnevalssitzungen finden in choices nicht oder kaum statt. Auch wenn choices-LeserInnen Trödelmärkte, Stadtteilfeste und Wein-Seminare besuchen: Jede Veranstaltung hat ihre eigene, mehr oder weniger überschaubare Szene-Öffentlichkeit. Eine Stadt steht da vor anderen Problemen. Ihre Attraktivität speist sich nicht nur aus ihrem Kultur- und Freizeitangebot für Teil-Szenen, sondern auch aus Groß-Veranstaltungen, für die sich viele interessieren – auch solche von außerhalb. Zum Beispiel gelten Rolling Stones-Konzerte als generationenübergreifendes Familienentertainment, zu dem Rock-Omas und -Opas gern mit ihren Enkeln anreisen. Dass die „Umwegrentabilität“, die sich gemeinhin durch Shopping, Kneipenbesuche und Hotelübernachtungen ergibt, bei Rock-Konzerten praktisch gegen Null geht, ist die andere Seite der Medaille. Den Reibach machen Mick Jagger & Co.
Je größer die Events, desto länger der Vorlauf. So holte das Frankfurter Satiremagazin „Titanic“ die Fußball-WM 2006 schon im Sommer 2000 mit Bestechungs-Faxen an FIFA-Delegierte nach Deutschland. Die Chance, 2010 Kulturhauptstadt Europas zu werden, verpatzte Köln 2004. Als Essen und das Ruhrgebiet 2006 über den Zuschlag jubelten, schrieben viele beteiligte Kommunen längst rote Zahlen. Inzwischen streiten sie sich, wer den Müll wegräumen soll, den auch Kulturevents hinterlassen. Köln wiederum verpatzte den Terminplan des NRW-Strukturprogramms „Regionale 2010“. So wird das Vorzeige-Projekt „Archäologische Zone“ frühestens 2013 fertig. Auf das rechtsrheinische Regionale-Projekt „Rheinboulevard“ soll erst mal ein Info-Container aufmerksam machen.
Sschwule Blicke auf die Stadt
Auch die Kölner Stadt-Finanzen sind im Keller. Nichtsdestotrotz beginnt nun ein Eventjahr, dem sich die Domstadt nicht entzieht. Im globalen Veranstaltungskalender sind die Olympischen Winterspiele und die Fußball-WM die Mega-Events. Die einzige Veranstaltung, mit der Köln auf Weltniveau dabei ist, sind die Gay Games. Anfang August blickt der homosexuelle Teil der Weltbevölkerung eine Woche lang auf diese Stadt – mehr Blicke, als ein Papstbesuch auf sich zieht. Als Joseph Alois Ratzinger alias Benedikt XVI. am 18. August 2005 zum katholischen „Weltjugendtag“ einschwebte, hob die Kölner Stadtverwaltung ab und verpasste sich das Label „Eventstadt“.
Mit seinen Großveranstaltungen hat Köln bis vor wenigen Jahren auf Masse statt Klasse gesetzt. So wurde das 1993 gestartete „Kölner Ringfest“ 13 Jahre lang als hochsommerliches Mega-Event gefeiert – immer größer, aber auch immer unwirtlicher. In den Anfangsjahren hatten sich zwei Millionen Besucher für den Rummel um einige Showbühnen und viele Bierstände begeistert, dann kamen nur so viele wie zu einem bezirklichen Straßenfest. 2006 wurde das Ringfest einen Monat vor dem geplanten Termin aus verschiedenen Gründen abgesagt. Mit der Fußball-WM gab es ein neues „Sommermärchen“, bei dem auch in Köln vieles easy lief, vor allem das kulturelle Rahmenprogramm. Als Vorboten der WM 2010 schickte die südafrikanische Regierung die besten Musiker, Tänzer und Poeten des Landes an den Rhein. Ihr Veranstaltungsreigen wurde – ganz ohne FIFA – in den „Sommer Köln“ der SK Stiftung Kultur integriert. Für die Stadt Köln hingegen kam es zur Kostenexplosion beim Public Viewing. Die Stadtverwaltung setzte den Rat unter Druck, um über die genehmigten 4 Millionen Euro weitere 3,5 verausgaben zu können.
Im Dunst des Lokalen
Die Schattenseiten des städtischen Veranstaltungswesens sind Klüngeleien mit lokalen Medien und Geschäftemachern. So verschaffte der damalige stadtkölnische WM-Beauftragte dem WDR Exklusivrechte auf Livebilder, die andere Sender praktisch von der Berichterstattung ausschlossen. 50.000 Euro Honorar für die Kölsch-Band Höhner, die der WDR exklusiv bei der „La Ola-Party“ aufnahm, zahlt die Kommune – die Verwertungsrechte hatte der WDR. Dann wurde gegen einen zeitweiligen Geschäftsführer von KölnTourismuswegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Wie es hieß, hatte der Mann vor der WMbefreundeten Veranstaltern Vertriebsrechte für kölsche Fan- und Werbeartikel unter Wert verkauft.
Von da ist es nicht weit zu rummeligen Wein-, Bier- und Oktoberfesten, bei denen Kölsch aus dem Maßkrug getrunken wird. Damit die Alkoholfahnen und Lärmteppiche nicht überhand nehmen, verabschiedete der Rat Ende 2007 ein Platzkonzept, nach dem Veranstaltungen an innenstädtischen Orten Kölns Image als „Medien- und Kulturstadt“ förderlich sein müssen. Ausnahmen gelten nur für „Publikumsmagneten mit oberzentraler Bedeutung“ – namentlich für den Straßenkarneval an Weiberfastnacht, die sonntäglichen Schull- und Veedelszög, den Rosenmontagszug, den KölnMarathon und die „Kölner Lichter“. Jetzt hat die Stadt mit einer Verordnung nachgelegt, nach der Veranstalter rechtzeitig Sicherheits- und Umfeldkonzepte vorlegen müssen. Verlangt wird u.a. eine „Bestätigung über die Durchführung eines behördlich angeordneten Sanitätsdienstes einschließlich der dazugehörenden Einsatzkonzeption.“
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