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Navid Kermani
Foto: Heike Bogenberger

Religion und schwarze Löcher

10. Februar 2022

Navid Kermani zu Gast am Schauspiel Köln – Literatur 02/22

Wer bin ich? Warum bin ich? Und wie mit all der Endlichkeit – und Unendlichkeit – umgehen, die uns umgibt? Es sind große Fragen, die Navid Kermani an diesem Samstagabend auf der Bühne im Schauspiel Köln aufwirft. Fragen, die er in seinem neuen Buch „Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen“ stellt – und zumindest in Teilen zu beantworten versucht. Denn das Buch ist an seine Tochter gerichtet, in Dialogform. Kermanis Antwort auf diese Fragen, das wird an diesem Abend klar, ist immer wieder die Religion. Denn Religion, „das ist die Beziehung zwischen uns, den Endlichen, und der Unendlichkeit“. Also der Versuch, unserem Dasein als menschliche Wesen in einem schwer greifbaren Universum zumindest ansatzweise einen Sinn zu verleihen.

Wie schwierig es sein kann, diese großen Fragen zu beantworten, zeigt auch Kermanis Lesung an diesem Abend. Musikalisch begleitet wird er dabei von der Pianistin Pi-hsien Chen und dem Komponisten Manos Tsangaris. Hier geht es um das Staunen, das die Musik in uns auslösen kann, und das – nach Ansicht der drei Künstler – wesentlich ist, um den Fragen nach dem Sinn unserer Existenz begegnen zu können. Unterstützt werden die drei dabei außerdem von Schauspieler Martin Reinke und Astrophysiker Heino Falcke, der einen kurzen Gastauftritt hat und 2018 wesentlich an der ersten fotografischen Dokumentation eines schwarzen Lochs beteiligt war. Der Dialog, der dabei entsteht, verdeutlicht das komplizierte Unterfangen, dieser Unendlichkeit eine Form zu geben: Als das Gespräch zunehmend ausfranst, ist es an Kermani in der Rolle des Moderators, den Fokus zurück zum eigentlichen Hauptthema des Abends zurückzubringen: der Religion.

Diese – und das betont Kermani mehrmals in seinem neuen Buch – findet letztendlich im Alltäglichen statt: im Versuch, all dem Kummer, dem Leid, aber auch der Freude, die wir empfinden, einen Sinn zu geben. Ob Religion nun den Titel „Islam“ oder „Christentum“ trägt, ist dabei vollkommen egal; auch das ist Kermani wichtig und geht einher mit seinem literarischen und intellektuellen Werk, das seit jeher bemüht ist, die Kluft zwischen verschiedenen Religionen und Kulturen zu überwinden. Am Ende der Lesung steht daher erneut, wie auch in Kermanis Buch, die Frage: Was ist der Sinn? Religion mag ein Weg sein, diesen Sinn ein wenig greifbarer zu machen. Vielleicht aber geht es, wie zu Beginn der Lesung von dem Künstler-Trio in den Raum geworfen, letztlich darum, diese Formlosigkeit, von der wir so oft umgeben sind, einfach auszuhalten. Uns ihr hinzugeben, staunend, wie Kinder, und auszuhalten, dass wir manche Dinge niemals werden begreifen können.

Marina Wudy

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