In Wales regnet es öfter als in anderen Teilen der Welt. Aber drei Monate ununterbrochener Regen sind auch dort ungewöhnlich. Zumal sich das Wasser, das vom Himmel fällt, bald in Schnee verwandelt. Mirko Bonné erzählt in seinem neuen Roman „Seeland Schneeland“ von einer Naturkatastrophe, wie wir sie wohl nie mehr erleben werden. 1921 sitzt Merce Blackboro im Kontor der elterlichen Firma und sinniert melancholisch über sein Leben. Sechs Jahre zuvor hatte er sich als blinder Passagier auf die Endurance geschlichen und war im Laufe der abenteuerlichen Arktisexpedition bis zum persönlichen Assistenten von Ernest Shackelton aufgestiegen. Nun ist er leidenschaftlich verliebt in Ennid Muldoon, deren Eltern von der Spanischen Grippe dahingerafft wurden. Ennid will nach Amerika und Merce muss ihr folgen. Das Auswandererschiff gerät jedoch in einen Schneesturm und treibt manöverierunfähig in der offenen See.
Mirko Bonné gelingt das in der deutschen Literatur seltene Kunststück eines historischen Romans, der es an Komplexität, Atmosphäre und Spannung mit den realistischen Erzählern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufnehmen kann. Seine Figuren überzeugen gerade in ihrer Widersprüchlichkeit. Die Welt der Zwischenkriegszeit und das Inferno auf dem Schiff entwickelt er nicht als Kostümfilm, sondern als bildmächtiges Epos, in dessen Ästhetik man sich hineinfühlen kann und das seine Leser mit unerhörter Spannung belohnt.
Mirko Bonné: Seeland Schneeland | Schoeffling & Co, Verlagsbuchhandlung | 448 S. | 24 €
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