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Schreien gegen eine nicht denkende Welt: Human Abfall im King Georg
Foto: Rebecca Ramlow

In Stuttgart geht noch was

03. März 2017

Apokalyptischer Postpunk: Human Abfall – Konzert 03/17

Es gibt auch coole Schwaben. Das muss man auch mal zugeben. Man schaue sich beispielsweise die vier Jungs der Postpunk-Band Human Abfall an.

Flávio Bacon schreit. Sein Hemd, das in einer Jeanshose steckt, wirkt etwas spießig. Laut röhrt er in sein Mikrofon. Dabei verzieht der Musiker, der nebenbei in einer Gießerei arbeitet, obwohl er studiert hat, keine Miene. Fast bekommt man ob seiner Ernsthaftigkeit ein wenig Angst, aber gerade das ist das Lustige. Die Band Human Abfall aus den Outskirts Stuttgarts und aus Berlin liefert unversöhnlichen Wave-Punk. Schwerverdaulich. Das klingt anstrengend, ist es auch, aber bewusst. Das Publikum im gefüllten King Georg lacht zumindest, als Bacon, Sänger des Quartettes, jenes auf eine apokalyptische Reise im deutschen „Interregio“, ein Lied aus dem Debüt-Album mit dem gigantischen Titel „Tanztee von unten“, über Lieder der neuen Platte „Form & Zweck“, mitnimmt.

Einer der Titel auf jener zweiten heißt „Montags“. Die sich wiederholende Textzeile dabei lautet: „Heute schau ich aus wie Dresden '45. Heute schau ich besser aus als je zuvor.“ Eine ironische Anspielung auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen und auf eine sich zu wiederholen drohende Geschichte, nur weil die Enkel der Täter anscheinend im Geschichtsunterricht geschlafen haben. „Kein Aber und kein Wenn, ihr Täterenkel,“ singt Bacon schreiend. Die Botschaften der repetitiven Texte sind sehr offensichtlich. Doch gerade diese Eindeutigkeit, die bisweilen nervt, ist Intention. Human Abfall wollen dem abgestumpften Publikum auf den Keks gehen, den Zuhörer auf den Boden der Dinge, die in der Gesellschaft nicht stimmen, stoßen. Die sich ständig wiederholenden Elemente werden dabei dadaistisch als Revolte gegen die Kunst von Seiten der Künstler selbst benutzt, traditionelle Kunstformen satirisch überspitzt. So etwa auch in einem Stück des ersten Albums, „Überkatze“, das die Postpunker an diesem Abend zum Besten geben: „Katzen, mit ihren kleinen Tatzen, schlendern an die Bluttöpfe der Bourgeoisie – da vermuten wir sie nie, nein!“, ruft Bacon immer wieder, zu schnellen stakkatoartigen Tönen, die sich laut dröhnend minimal verwandeln, bis sie schließlich identisch klingen. Das Ergebnis dieses Experiments: Das Publikum wiegt und tanzt wie erwartet im Takt mit.

Während „Tanztee von unten“ in scheppender Punkästhetik auf das Publikum hereinpolterte, ist „Form und Zweck“ mit weiteren Stilmitteln angereichert und neben der Repetition von minimalistischen Beats geprägt, die an die Musik des New Wave heranreichen. Die Interpretation dessen ist spekulativ: Fast scheint es, als wollten die Musiker sich durch diese Erweiterung – dem schnöden Titel „Form & Zweck“ gemäß – selber einem größeren Publikum anbiedern und so indirekt auf die oberflächliche, von Konsum gesteuerte Gesellschaft, die lieber döst, als nachzudenken, aufmerksam machen.

Nach Liedern wie „RTLM“, eine Anspielung auf die Völkermordpropaganda des gleichnamigen Radiosenders in Ruanda, ein Stück des neuen Albums, und „14 Tage Urlaub“ gibt es am Ende eine Zugabe: „Abgesagt! Drücken Sie die drei, um mit einem unserer freundlichen Sachbearbeiter verbunden zu werden. Sicherheitsdienst! Bitte, verlassen Sie mein Büro!“, schreit  Bacon dem Publikum noch einmal aus vollstem Halse und Herzen final ins Gesicht. Dieses ist von der apokalyptisch grotesken Darbietung begeistert. Human Abfall ist harter, aber guter Tobak.

Rebecca Ramlow

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