Vor kurzem hat sich unser Ministerpräsident schützend vor die nordrhein-westfälischen Arbeitnehmer gestellt und auf deren „weltweit anerkannte hervorragende Leistungen“ aufmerksam gemacht. Wer erinnert sich nicht an die präsidiale Analyse: Hierzulande kommen die Arbeiter tatsächlich „morgens um sieben Uhr zur ersten Schicht und bleiben bis zum Schluss“, im Ausland dagegen kommen und gehen die Proleten, „wann sie wollen“. Schlimmer noch: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Weil insbesondere die Rumänen so sind, kriegen „die von Nokia die Produktion in Rumänien auch nicht in den Griff“. Andere Parteien haben Jürgen Rüttgers (CDU) dafür „Rassismus“ vorgeworfen. Doch die Wirklichkeit ist komplizierter. Ist unser Ministerpräsident wirklich ausreichend über die engen Beziehungen informiert, die in der globalisierten Welt zwischen NRW und Rumänien bestehen?
Kontaktpflege
Nehmen wir Köln als Beispiel. Seit mehr als einem halben Jahrhundert pflegt die Stadt Beziehungen zu anderen Städten. Lille ist Partnerstadt ebenso wie Cork und Kyoto, Peking oder Tel Aviv. Nicht zu vergessen Klausenburg, das auch Cluj Napoca heißt. Das Städtchen wird gerne als „Herz von Transsilvanien“ bezeichnet und liegt mitten in ... Rumänien. Die alte Mär von Graf Dracula lastet nicht mehr wirklich auf der Region, seit der moderne Kapitalismus dort Einzug gehalten hat. Dabei lässt sich bei näherem Hinsehen feststellen, dass die kulturellen Kontakte zu Köln nicht ohne Auswirkungen auf das ganze Land geblieben sind. Schon zu Zeiten des realen Sozialismus hat man sich dort der kölschen Maxime „Wir kennen uns, wir helfen uns“ bedient und ihren Gebrauch nach der Wende weiter perfektioniert. Nicht nur praktisch, auch theoretisch.
Während die kölsche Sprache den zwischenmenschlichen Schein wahren will und deshalb hinter dem Begriff Klüngel© mühsam die vielfältigen Variationen der Vorteilsnahme von Tauschgeschäft bis Korruption, von offenem Nepotismus bis zu verdecktem Lobbyismus versteckt, sind die Rumänen weiter. Unten an der Donau unterscheidet man in solchen Fällen zwischen „mita“ und „spaga“. Mit „spaga“ wird das alltägliche Klüngeln umschrieben – kleine Gefälligkeiten und andere Kavaliersdelikte, die das Leben erleichtern, etwa bei einer Baugenehmigung oder beim Geschäftemachen. Vier Fünftel aller Rumänen berichten, dass sie jemanden kennen, der schon einmal so „bestochen“ wurde. Davon unterschieden wird die „eigentliche“, die strukturelle Korruption. Mit „mita“ sind die Aktivitäten der neuen Eliten in Politik, Medien und Wirtschaft gemeint, die ihre Kenntnisse der einst realsozialistischen Netzwerke in reales kapitalistisches Kapital umwandeln und dabei auf moderne Weise die Ausplünderung des Landes zu Lasten der Bevölkerung fortsetzen – selbstverständlich mit internationaler Unterstützung. Das Zusammenspiel von „mita“ und „spaga“ könnte man auch als „inoffiziellen Gründungsmythos der postsozialistischen Gesellschaft“ bezeichnen, wie das ein Kommentator getan hat. Weil zu jedem ordentlichen Mythos auch Opfer gehören, leidet eben der eine oder andere unter den korruptiven Vorgängen. Dafür werden die Reichen immer reicher. Ähnliches lässt sich für den originalen Klüngel© feststellen. Der Kölner Mythos wurzelt allerdings nicht in Vorgängen des 20. Jahrhunderts, sondern geht bis auf die mittelalterlichen Ursprünge des Kapitalismus zurück. Seitdem hat er sich mit den Zeitläuften gewandelt und modernisiert. Der übliche Mix aus magisch-romantischen und verschwörungstheoretischen Aussagen zum kölnischen Volkscharakter und dem Gemaggel der „kleinen Leute“ reicht schon lange nicht mehr aus, um die hiesigen „mita“ und „spaga“ in ihrer ganzen Bandbreite zu beschreiben.
Moderne Zeiten
Die modernen Formen des Klüngelns© verlangen ein gewisses professionelles Knowhow. In Zeiten des „New Public Management“ genügt die Kenntnis der lokalen Seilschaften nicht mehr. Auch vor Ort muss man sich an den „Global Players“ orientieren, das ist spätestens seit den 1980er Jahren klar. Im Fall des sogenannten Kölner Müllskandals wurden Bestechungsgelder über die Schweiz transferiert. Beim Projekt KölnArena konkurrierte der finanzierende Fonds mit internationalen Investments. Deshalb musste vor Ort für eine besonders günstige Ausstattung und Rendite gesorgt werden. Die Verschleierung tatsächlicher Zusammenhänge durch komplizierte Rechtskonstrukte gewann ebenso an Bedeutung wie das verdeckte Agieren einzelner Akteure. Beispiel: der Wechsel des Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeier zu Oppenheim-Esch nach dem Deal. Eine entsprechende Medienkommunikation rundet das Bild ab.
Der einfache Beratervertrag ist nur noch ein – konventionelles – Mittel unter vielen. Vor allem verdeckte Aktionen, sogenannte No Badge-Aktivitäten, prägen zunehmend den lobbyistischen Alltag. Das Repertoire reicht über vorproduzierte Medienbeiträge von angeblich neutralen Autoren bis hin zu scheinbar seriösen Meinungsumfragen mit entsprechenden Resultaten. Zum anderen werden systematisch Beiträge für Internet-Blogs, Leserbriefseiten oder Diskussionsforen verfasst und als Texte von interessierten Bürgern ausgegeben.
Der in Köln ansässige Verein Lobbycontrol befasst sich mit diesen Grauzonen zwischen Politik, Medien und Wirtschaft systematisch. Einer seiner aktuellen Fälle: Im Zuge ihrer Privatisierungskampagne engagierte die Deutsche Bahn zur Unterstützung die Berliner European Public Policy Advisers (EPPA). Ihre Aufgabe: die Beeinflussung von Politik und Öffentlichkeit im Sinne der DB. Die EPPA arbeitete dafür mit Partnern zusammen. Dazu gehörte u.a. die Kölner PR-Agentur Allendorf Media. Sie arrangierte positive Statements der TV-Stars Barbara Eligmann und Hans Meiser zur Bahn. Nebenher besorgte sie auch bahnfreundliche Kommentare in entsprechenden Online-Foren. Mit im Boot war auch die Berliner Denkfabrik Berlinpolis. Deren Chef Daniel Dettling setzte sich publizistisch massiv für die Bahnprivatisierung ein und veröffentlichte zudem einschlägige Umfragen zu der 2007 anstehenden Tarifauseinandersetzung zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft. Dettling ist übrigens seit Juli auch für NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) aktiv. Sein Job als „Clustermanager“ für die hiesige Kultur- und Kreativwirtschaft ist mit 1,8 Millionen Euro dotiert und soll zunächst über drei Jahre laufen. Zu den Aufgaben von Berlinpolis gehört u.a. die Pflege des landeseigenen Internetportals „Kreative Ökonomie“. Eine Reihe der dort platzierten „Fachartikel“, die positiv für die Nutzung von Biosprit votierten, waren in Wahrheit von Berlinpolis-Mitarbeitern verfasst. Als das bekannt wurde, entfernte das Ministerium die Beiträge. Ein Ziel von Dettlings Think Tank ist übrigens eine Verbindung des „ökonomischen Lagers (Schwarz-Gelb) und des kulturellen Lagers (Rot-Grün) zu neuen Allianzen, ohne dabei ständig zu polarisieren, zu attackieren und zu moralisieren.“
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