Ende Mai fand zum 15. Mal die Festivalreihe „Literatur in den Häusern der Stadt“ des KunstSalons statt. Einer der Gäste: der schwerlich bloß als Autor, Entertainer, Journalist, Schauspieler, Musiker oder Kabarettist definierbare Humor-Produzent Herbert Feuerstein, der zurzeit seine Runden mit der Autobiografie „Die neun Leben des Herbert F.“ macht. Nach Köln hat er von Erfstadt aus allerdings nicht weit zu fahren.
Das Buch, das er letzten November auf der Frankfurter Buchmesse vorstellte, zeugt davon, dass sich sein bisheriges Leben in neun Teile aufteilen lässt. Es ist nicht auf Pointen aus, sondern führt bildreich durch Feuersteins Lebensetappen und regt zum Schmunzeln an durch seine amüsant in Sprache gefasste, zugespitze Ehrlichkeit, die hauptsächlich um ihn selbst kreist. Auch auf der gedruckten Seite ist er eine Identifikationsfigur für Verlierertypen, die sich bei etwas Erfolg doch immer irgendwie im Unrecht fühlen, dies zumindest vorgeben oder einfache, einleuchtende Erklärungen dafür parat haben. Die Masche gesteht er den Lesern auch ein im Zusammenhang mit der Ratesendung „Pssst“ (1990-95), wo er das Handwerk gelernt habe, Sympathie zu wecken, indem er der „Woody-Allen-Regel“ gefolgt sei. „Wenn man es richtig macht, fällt dem Verlierer mehr Sympathie zu als dem Sieger.“
Der markilux Showroom im Zollhafen war am 28. Mai das erste Mal bei der intim gehaltenen Lesungsreihe dabei, für die Privatleute, Galerien oder Geschäfte mit ihren nie übermäßig großen Räumen oder Gärten als Gastgeber fungieren. Feuerstein nahm im ersten Stock unter einer Markise Platz, nachdem er für das Wohl seines Hundes Emmi gesorgt hatte. „Der war mal Hausgast bei uns für zwei Wochen, und er hat mich sofort erzogen.“ Um eine gute Stunde nicht zu überschreiten (was er zum Glück trotzdem tat), trug Feuerstein aus den meisten seiner Leben, von denen die über 20 Jahre beim Satiremagazin MAD das längste darstellt, ausgewählte Passagen vor und verband sie mit einigen zusammenfassenden Bemerkungen. So erfuhr man von seiner lang vergangenen Kindheit in Salzburg und wie er „nach Ende des Krieges – nicht der erste Weltkrieg – das war dann schon der zweite!“ mit schlechtem Englisch die amerikanischen Soldaten um Schokolade bat, aber missverstanden und nur zur Toilette geführt wurde.
Während er in der Schule mit den (durchweg männlichen) Nachkriegslehrern schlecht klarkam, die sich ihm als „Rentnerbande“ darstellte, begann er zuhause eine künstlerische Arbeit als Intendant eines Puppentheaters, für das er die Kostüme nähte, den Text schrieb und mit unter ständiger Lebensgefahr selbstverantworteter Technik die Beleuchtungswechsel vornahm, um nur einiges zu nennen. Mit der Aufnahme am Salzburger Mozarteum folgte eine Zeit als Musiker und als Musikkritiker, dem gemäß dem damaligen Stil die Pointe über die Objektivität gegangen sei. Mit 22 besorgte er sich über persönliche Kontakte ein Journalistenvisum und folgte einer Ausstauschstudentin, die er liebte, nach New York und arbeitete dort unter anderem für eine deutschsprachige Tageszeitung.
„Natürlich schreibe ich sehr, sehr ausführlich über New York. Es war meine allerwichtigste Zeit, mit Sicherheit. Eine Zeit, in der mich auch viele Ängste gepackt haben. (…) Das war eine Zeit, da wusste man zum Beispiel über Depressionen gar nicht Bescheid. Da gab’s die ganzen Psychoanalytiker, die auf der Straße herumlungerten und für 100 Dollar die Stunde wollten, dass man sagt, dass die Mutter schuld an allem ist. Das wusste ich eh vorher schon.“
In Frankfurt wurde er Anfang der 70er Jahre Chefredakteur der deutschen MAD-Ausgaben, nachdem der Verlag, bei dem er zuvor gearbeitet hatte, Pleite gegangen war. Dazu Feuerstein: „Der Verleger glaubt bis heute, dass ich allein schuld war. Aber das waren höchstens 75 Prozent.“ Sein Übergang zum Fernsehen im Jahr 1990 fiel mit Veränderungen bei MAD zusammen: „Das war die Zeit, in der es mit MAD schon kräftig zu wackeln begonnen hatte. Der Grund war natürlich, mein wunderbarer Verleger William Gaines hatte sich mit dem wichtigsten Zeichner des Blattes zerstritten, dem legendären Don Martin. (…) Das haben wir bald sehr schwer zu spüren bekommen.“ Der WDR habe ihn in dieser Periode für das Rateteam einer neuen Sendung („Pssst“) haben wollen, bei der er dann Harald Schmidt kennenlernte. Dies wiederum führte zu Feuersteins Beteiligung an der gemeinsamen Sendung „Schmidteinander“, wobei am Anfang das Augenmerk der Presse völlig auf Schmidt gelegen habe. Die Sendung habe sich durch die seltenen Ausstrahlungstermine jedoch jeden Monat neu erfinden können, was heute bei neuen Showformaten gar nicht mehr denkbar wäre.
Über Schmidt, der am Anfang ganz klar der Chef gewesen sei und ihm auch Anweisungen gegeben habe, sagte er den Kölnern beschwichtigend: „Also ich habe ihm wahnsinnig viel zu verdanken, ich habe alles von dem Kerl gelernt. Unsere Beziehung ist eigentlich… ziemlich gut. Ich war bei allen seinen späteren Sendungen irgendwann mal zu Gast und wir haben das bis ins Absurde gesteigert. Wir haben uns erst neulich mal wieder getroffen bei der Verabschiedung von einem alten WDR-Redakteur.“ Jedoch seien er und Schmidt Gesellschaftsmuddel, und „zwei Muffel zusammen machen einen großen Muffel.“
Derzeit lebt Feuerstein als neuntes Leben eine Art „Fortsetzung meines dritten Lebens als Musikstudent in Salzburg“, indem er als „Musikflüsterer“ zur klassischen Musik zurückgekehrt sei und dabei die Filmmusik gleich mitnähme. Im Schlusswort beschrieb er das Leben als ein einziges Abschiednehmen, was man aber besser akzeptieren solle. Es fehlte die Möglichkeit, Fragen zu stellen, allerdings konnte man mit Feuerstein beim Signieren im Erdgeschoss („Ich schreib rein, was sie wollen, keine obszönen Sachen“) sprechen, während noch einmal Getränke und Häppchen gereicht wurden.
Herbert Feuerstein: „Die neun Leben des Herbert F.“ | Ullstein | 384 S. | € 19,99
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