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Double Standard, 1961
Foto: © 2018 The Dennis Hopper Trust

Der rastlose Enthusiast

11. November 2018

Dennis Hoppers 60er-Jahre-Fotos bei Taschen – Literatur 11/18

Easy Rider“, in Hoppers Augen der einzige Film über die 60er Jahre, der in den 60er Jahren entstand, machte ihn weltweit bekannt, starke Auftritte in „Apocalypse Now“, „Der amerikanische Freund“, „Blue Velvet“, „Colors“, „True Romance“ oder „Speed“ brachten ihn immer zurück ins Gespräch. Studios und Regisseure empfanden ihn dabei oft als schwierig – seine Fürsprecher in Hollywood allerdings wussten, dass die Filme ihn brauchten. Weniger bewusst ist man sich gerade in Europa Hoppers erster zehn Jahre vor der Kamera, den Gastrollen im Fernsehen und den ersten Filmen an der Seite von John Wayne oder James Dean. Das Auftauchen des auf der Stelle bewunderten Dean in Hoppers Leben sowie dessen Unfalltod 1955 waren zwei Ereignisse, nach denen in Hoppers Leben nichts mehr war wie vorher. Der kunstinteressierte Dean war es auch, der ihn darin bestärkte zu fotografieren.

Der in diesem Jahr neu aufgelegte Bildband von Tony Shafrazi hat viel zu bieten: Abgerundet mit vielen Informationen, Ansichten und Anekdoten aus erster Hand – samt Hoppers eigenen Stellungnahmen – steht Hoppers fotografisches Werk der 60er Jahre im Mittelpunkt, das künstlerische und dokumentarische Ambitionen in sich vereint. Er war um die 30 und fühlte sich seit seiner Ankunft in Los Angeles, mit einem wichtigen Intermezzo in New York, nicht nur mit einer jungen Generation von Schauspielern verbunden, sondern auch mit der jungen Künstlerszene, die seit dem Aufkommen der Beat-Kultur ebensosehr neue Wege suchte und erste Idole hervorbrachte.


„Biker Couple“, 1961/2009
Foto: © 2018 The Dennis Hopper Trust

Seine Begeisterung für Künstler wie Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Ed Ruscha, Claes Oldenburg oder James Rosenquist, die zum Teil vor ihrem Durchbruch erstmals in L.A. ausstellten, schlug sich in Fotografien wieder, die von Freundschaft, innerer Teilnahme und Bewunderung zeugen. Die Bilder geben ein Gefühl dafür, wie sich Pop Art anfühlte, als sie ganz neu aufkam und die Kunstszene elektrisierte. Hoppers Fotos zeigen auch unsystematisch die Kontexte, in denen die Werke damals zu sehen waren oder entstanden, sehr oft zusammen mit den Künstlern. Damit ist aber nicht nur etwas dokumentiert, was zu Vergleichen mit unserer gepflegten und subventionierten Kunstszene von heute einlädt, sondern es entstehen eigenständige fotografische Werke mit körniger Schwarz-Weiß-Ästhetik, die wiederum die Kunstwerke nicht originalgetreu abbilden, und mit inneren Widersprüchen in der Bildkomposition, die spielerisch Fragen aufwerfen.


Hopper am Set von „...denn sie wissen nicht was sie tun“ (1955)
Foto: © 2018 The Dennis Hopper Trust

L.A., auch wenn Hopper die Künstler dort liebte, war damals keine wichtige Kunstmetropole, mit New York oder London vergleichbar, und Hopper empfand die Stadt auch optisch als reizlos. Andererseits entstand hier nicht zufällig seine bekannte Fotografie „Double Standard“ (1961) aus dem Auto heraus. Sie zeigt L.A. als ein Epizentrum der Konsumkultur, die Stadt erscheint an einer exemplarischen Kreuzung als horizontale, fast noch provisorisch wirkende Stadt des Asphalts, des Öls und der Plakatwerbung, mit wenig Spuren traditionellen menschlichen Miteinanders. Die Standard-Tankstelle in der Mitte des Bildes wird rückseitig von einer Werbetafel überragt, die mit dem Bild einer Frau für Kochen mit Erdgas wirbt. Vermutlich hat Hopper nur ganz schnell diese Werbung dokumentieren wollen: Die perfekten, irrealen Frauengesichter, mit denen Produkte beworben wurden, hatten es ihm als Motiv angetan, genauso wie die Pop Art mit den neuen Verfahren und Phänomenen der Vervielfältigung, Vergrößerung und abstrahierenden Idealisierung nachging, weil man das Gefühl hatte, dass Ästhetik und die Gesellschaft eng zusammenhingen.

Hopper, ein Rastloser, der sich nie als Profi sah und oft mehr Energie in die Schauspielerei stecken musste, war immer schussbereit. Er fotografierte aus der Hand mit einer Nikon F mit lichtempfindlichem Tri-X-Film und nahm die Angebote an, die die Wirklichkeit mit ihrem natürlichen Licht ihm bot. Er versuchte überall dabei zu sein, wo sich etwas tat, ob künstlerisch, kulturell oder politisch. So verfolgte er in Momentaufnahmen auch die Hippie- und die Bürgerrechtsbewegung. Andere Male fotografierte er abstrakt nach formalen Kriterien, porträtierte Freunde oder hielt in flüchtigen Momenten alle Arten von Menschen – arm, reich, jung, alt, schwarz, weiß – in ihrer Umgebung fest. Schließlich stellte er auch selber aus und wurde engagiert, Musikgruppen wie die Rolling Stones zu fotografieren. Er war selbst Teil einer Generation, die er als „kreative Generation“ bezeichnete. Dass er damit wohl recht hatte, davon zeugt das Buch mit jedem Kapitel.


Foto: Jan Schliecker

Mit seinem Film „Easy Rider“ und dem Durchbruch des Independent Cinema wandte Hopper sich von der statischen Fotografie ab, kehrte aber phasenweise zu ihr zurück, etwa wenn er nach Flops oder Streitereien keine Regieprojekte zum Laufen bekam. Außerdem wollte er nunmal nicht im Bereich der Filmsets fotografieren, wo Fotografen eher störten. Wenn er Schauspieler wie Paul Newman, Bill Cosby oder Jane Fonda ablichtete, dann als Freunde in ihrer Freizeit.

Statt die zum Teil in anderen Büchern gesammelten späteren Fotoprojekte mit einzubeziehen, geht der vom Kölner Taschen-Büro mitverantwortete, dreisprachige Bildband bei den 60er Jahren in die Tiefe, die als Umbruchszeiten vor uns lebendig werden. Dabei werden viele nie gesehene und nie entwickelte Fotos mit durchweg detaillierten Informationen gezeigt und nach fotografischen Themen geordnet, mit Zusatzkapiteln zu einigen Filmen, mit Berichten und Kommentaren von Zeitgenossen und allem, was Hopper, der das 2011 von Herausgeber Tony Shafrazi abgeschlossene Buchprojekt federführend begleitete, zu den Bildinhalten einfiel. Eine Zeitreise, in der man über Monate herumblättern kann! Ein Wermutstropfen sind die fehlerhaften deutschen Übersetzungen.

Dennis Hopper – Photographs 1961-1967 | Taschen Verlag | 544 S. | 50 € | www.taschen.de

Jan Schliecker

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