Die Begrüßung von Pauschalurlaubern auf einer exotischen Insel wäre mal eine eigene Performance wert. Von gesungenen, getanzten bis zu gereimten Klischees ist da auf dem Wühltisch des Willkommens alles zu haben. Auf Lanzarote könnte es so aussehen: Ein Mann namens Sven trägt einen Riesen-Schnurrbart und verrenkt sich fast die Glieder vor Freude, seine Frau Antje gibt die Königin des Meeres mit einem Fischlaib auf einer Pappkrone. Der Fisch wird anschließend auf dem Tisch weichgeklopft, was beim Gast prompt einen Hexenschuss auslöst. Dann stimmen die Gastgeber als Chor die Hausregeln an. Wer so empfangen wird, muss hart gesotten sein – und das sind Theo und Jola durchaus, die den All-inclusive-Urlaub für schlappe 14.000 Euro gebucht haben.
Der Spielplan des Bonner Theaters unter der neuen Leitung setzt in seiner ersten Spielzeit geradezu exemplarisch auf ein Theater für und über die Stadt. Ob das ein Abend über Burschenschaften ist, eine Uraufführung zu Helmut Kohl oder jetzt die Dramatisierung eines Romans der gebürtigen Bonnerin Juli Zeh. „Nullzeit“ ist ein Kammerspiel für zwei Paare, was es für die Bühne attraktiv macht. Der frühere Jurist Sven hat sein Heimatland („In Deutschland herrscht permanenter Kriegszustand.“) verlassen und auf Lanzarote eine Tauchschule eröffnet. „Raushalten“ ist das Lebensmotto dieses Aussteigers, der sich dabei am liebsten um sich selbst kümmert. Das bekommt seine Begleiterin Antje, die ihm aus Liebe vor Ort den Laden schmeißt, immer wieder zu spüren.
Dieses Paradies gesellschaftlicher Weltflucht stören die Luxus-Urlauber Theo und Jola. Er ein gealterter Schriftsteller, der vor Jahren einen Roman veröffentlicht hat; sie eine Fernsehschauspielerin mit Drang zu Höherem – derzeit ein Film über die Frau des Unterwasserforschers Hans Hass: Deshalb der Tauchurlaub. Zugleich soll so die Beziehungsruine der beiden renoviert werden. Stattdessen herrscht Stellungskrieg: Jola bändelt mit Sven an, Theo versucht es bei Antje. Der Reiz des Romans liegt darin, dass er eine doppelte Wahrheitsspur legt: Svens Version als Ich-Erzähler weicht von Jolas Tagebuchzitaten erheblich ab. Die Frage nach der Wahrheit kombiniert Juli Zeh mit einem Psychothriller, an dessen Ende die Ménage à quatre in einem vermeintlichen Mord explodiert. In Bonn lässt Regisseur Sebastian Kreyer zunächst kräftig die Animier-Sau raus. Zwischen kariert eingedeckten Esstischen vor einem Container (Ausstattung: Lena Thelen) stehen die Spaßeinlagen Schlange: Es wird gesungen, man formiert sich zur Polonaise, Buttermilchsperma spritzt, Antje macht auf Leni Riefenstahl, Jola mimt die Qualle, dazu dröhnen zweitklassige Urlaubshits.
Albernheiten aus dem Luxus-Ballermann-Album zuhauf, die gewürzt werden mit den Sadomaso-Spielchen von Theo und Jola. Wenn Glenn Goltz als sarkastisches Ekel die verbale Anorexiekeule hervorholt, stopft sie sich alle erreichbaren Kartoffeln in den Mund. Danach tunkt Johanna Falckners Jola seinen Kopf in die Salatschüssel. Beim Tauchgang, der durch blaues Licht und Unterwasserprojektionen simuliert wird, dreht sie ihm den Sauerstoffhahn zu („War ein Witz!“). Das Getriebe überdeckt nur mühsam ein Grundproblem der Roman-Bearbeitung von Bernhard Studlar: Nicht nur bleiben die Charaktere blass. Das Nebeneinander der Behauptungen im Roman funktioniert auf der Bühne nicht. Da beschreibt Jola als erotische Hasardeurin mit Sinn für Manipulation den Liebesakt mit Sven bis ins Detail, während er sie gar nicht angerührt haben will – die Inszenierung entscheidet sich fürs Gefummel.
So bleibt die Doppelbödigkeit auf der Strecke. Mit der Zeit dünnt die Regie die Witzebene aus. Sven (Jonas Minthe als schmächtiger Raushaltungshänfling, der sich der Realität verweigert) gibt sich der Liebe zu Jola hin, während die verspielt-bodenständige Antje der Sophie Basse die Konsequenzen zieht: Schluss mit beziehungslustig. Am Ende kommt es zu einem Mordanschlag, und Sven muss erkennen, dass er nur benutzt wurde. Das gilt letztlich auch für den Roman von Juli Zeh – die Frage nach Wahrheit und Lüge, nach Raushalten oder Einmischen, die Beziehungslügen bleiben eher unterbelichtet an diesem Abend.
„Nullzeit“ | R: Sebastian Kreyer | 3., 8., 11., 17.4., 20 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 22
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