Mit Comics zu Elvis, Johnny Cash und zuletzt Nick Cave hat sich Reinhard Kleist zum Musiker-Biografen entwickelt, nach dem Läufer Samia Yusuf Omar und dem Boxer Hertzko Haft widmet er sich mit „Knock out!“ aber auch wieder einem Sportler. Und abermals steckt eine außergewöhnliche Biografie dahinter: Der schwarze Boxer Emile Griffith ist Hutmacher und schwul und bald schon Box-Weltmeister. Da tötet er einen Gegner im Ring. Kleist erzählt mit raffinierter Rahmenhandlung tief bewegend in seinen typischen Schwarzweiss-Kontrasten von diesem ungewöhnlichen Leben (Carlsen). Steffen Kverneland wird in „Ein Freitod“ persönlich bis über die Schmerzgrenze: Der Comic handelt vom Selbstmord seines Vaters und versucht, dessen Leben und Gefühlswelt zu ergründen. Kverneland verbindet Fotos mit seinen Zeichnungen, die eher Karikaturen sind und vielleicht versuchen, den Schmerz abzufedern. Ein beeindruckendes Werk (avant-verlag).
„Zuflucht nehmen“ ist ein über 300-seitiges Werk, das eine zarte Liebesgeschichte zwischen zwei deutschen Frauen aus dem Jahr 1939 in Afghanistan mit einer ebenso vorsichtigen Annäherung eines Deutschen mit einer syrischen Migrantin im Berlin des Jahres 2016 konfrontiert. Zeina Abirached zeichnet wie gewohnt ornamental in starken Kontrasten, während Autor Mathias Énard seine beiden Geschichten über Fremdheit und Sehnsucht immer weiter verflechtet (avant-verlag). Nach ihrem autobiografischen Coming of Age/Coming out-Comic „Pirouetten“ erzählt Tillie Walden mit „West, West Texas“ nun eine surreale Coming out-Geschichte: Bea drückt sich vor ihrem Outing und will nur noch weg. Unterwegs trifft die 16-Jährige auf die ältere Lou, eine entfernte Freundin der Familie, die gerade ihre Mutter verloren hat. Unterwegs geraten sie immer mehr vom Weg ab – geradewegs in eine beängstigende, sich immer mehr auflösende Landschaft, gejagt von unheimlichen Männern. Die düster-poetische Geschichte um zwei junge Frauen, die alle Gewissheit und Halt zu verlieren drohen, entfaltet sich in zügellosen Bildern von Gefahr und Verlust, die den Realismus weit hinter sich lassen und den Leser bis zuletzt in Atem halten (Reprodukt).
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