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Bunte Schätze

18. März 2010

ComicKultur 03/10

Brian Fies hat in „Mutter hat Krebs“ autobiografische Erlebnisse verarbeitet. Mit seiner neuen Graphic Novel „Und wir träumten von der Zukunft“ scheint er zunächst auch Autobiografisches zu erzählen – diesmal vom Vater: 1939 gehen Vater und Sohn gemeinsam auf die Weltausstellung und sind fortan gebannt vom technischen Fortschritt. In den 40er bis 60er Jahren schwelgen sie in Zukunftsutopien, denen die Gesellschaft mit der Mondlandung rasch näher kommt. Doch dann gehen die Interessen langsam auseinander: Der Sohn findet in Angesicht von Kaltem Krieg und anderen Problemen die technische Entwicklung zunehmend problematisch, während der Vater weiter naiv staunt.
Die allegorische Vater-Sohn Geschichte spiegelt Fortschrittsglaube und Ernüchterung in einer emotionalen Geschichte. Fies‘ klarer Zeichenstil variiert in mehren Comic-im-Comic-Passagen (Knesebeck).
Eine auf über 400 Seiten angelegte, zweibändige Graphic Novel über einen österreichischen Fußballer der 20er und 30er Jahre – das klingt sehr speziell. Aber „Der Papierene“, so der Spitzname des schmächtigen Ballkünstlers Matthias Sindelar, vermag auch ohne übermäßiges Interesse an Fußballhistorie zu fesseln. Sascha Dreier entfaltet im ersten Band neben Sindelars Biografie, in deren Mittelpunkt der Sport und die Liebe stehen, auch ein detailliertes und umfassendes Portrait der österreichischen Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen (Ueberreuter).
In diesem Monat gibt es auch drei Neuerscheinungen, die – mehr oder weniger weit weg vom klassischen Comic-Graphik-Design in Buchform präsentieren: Die Kölnerin Mimi Welldirty gibt mit „Immy and the city – Depresso to go“ einen Einblick in das Leben ihrer frustrierten Protagonistin. Immy ist so einsam, dass sie in psychotischen Schüben schon alles Mögliche phantasiert. In grafisch ausgefallenen, ganzseitigen Bildern erzählt Welldirty ihre Geschichte – der Text ist separat angeordnet (Atrium). „Unterwegs mit Samuel“ ist auch eine Reise in eine surreale grafische Welt. Tommi Musturi wandelt mit seinen nur vage narrativen wilden Farbexplosionen auf den Spuren der Avantgarde der 60er Jahre, auch wenn sein Zeichenstil sehr klar und modern ist. In abstrakten Szenen durchwandert Samuel eine wilde, mal freundliche und mal grausame Welt. Die lose aneinandergereihten Szenen spielen assoziativ mit Bildern der Evolution, streifen den Urknall, kreuzen die Triebe, durchschreiten philosophisch Gut und Böse oder die Entwicklung der Zivilisation, zum Beispiel die Entstehung von Kunst und Musik (Reprodukt). „Mach dieses Buch fertig“ hat nun wirklich keinen narrativen Kern mehr (s. Literaturkolumne S.55). Keri Smiths Buch liefert Seite für Seite Anweisungen, das Buch zu malträtieren bzw. gegen das Prinzip des sorgfältig behandelten Statussymbols kreativ zu ge- und verbrauchen: Seiten zerschneiden, bekritzeln, aus dem Fenster schmeißen, den Buchrücken knicken, befeuchten, mit spontanen Einfällen füllen etc. Ein Buch, das zum kreativen Umgang mit weißem Papier einlädt (Kunstmann). Noch ungewöhnlicher: Mit „Celestial Navigations“ veröffentlicht das Plattenlabel Numero Group eine aufwändige DVD mit Filmen von Al Jarnow. In den letzten 40 Jahren hat Jarnow zahlreiche experimentelle Animationsfilme produziert. Mitunter in stop motion-Technik, oft auch als Zeichentrick sind witzige philosophische Filme entstanden, die häufig von einem Millionenpublikum gesehen wurden. Denn sie wurden zum Teil für die Sesamstraße produziert. Diese Werkschau ist ein kleiner Schatz.

Christian Meyer

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