Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
2 3 4 5 6 7 8
9 10 11 12 13 14 15

12.606 Beiträge zu
3.830 Filmen im Forum

Aufgebrochener Erzählfluss

22. Dezember 2011

ComicKultur 01/12

Bastien Vivès ist der neue Stern am französischen Comic-Himmel. Bei gleichbleibend hoher Qualität zeigt er eine erstaunlich große ästhetische wie thematische Palette. In deutscher Übersetzung liegen bereits die wunderschönen Liebesgeschichten „Der Geschmack von Chlor“ und „In meinen Augen“ vor, nun erscheinen mit „Polina“ und „Für das Imperium“ zwei Werke, mit denen er seine Vielseitigkeit unter Beweis stellt: „Polina“ erzählt von dem Werdegang einer Balletttänzerin – vom Kind bis zur gereiften Künstlerin. In stilisierten, mit starken Kontrasten spielenden Zeichnungen erzählt er von den Aufs und Abs, von verschiedensten Lehrmethoden und Stilen auf eine Art, die nicht nur Tanz-affine Leser zu fesseln vermag. Die ersten beiden Bände „Ehre“ und „Frauen“ von „Für das Imperium“, das Vivès zusammen mit Merwan macht, sind bereits erschienen. Im ersten Band fühlt man sich angesichts der römischen Helden trotz der beeindruckenden Farbbilder oft an Frank Millers Epos „300“ erinnert, aber dann finden fantastische Elemente Eingang, und eine Frauenarmee verunsichert die Kämpfer. Die ungewöhnlich kolorierten Zeichnungen sind nicht minder fantastisch (Reprodukt).

In „Reigen“ begleitet Birgit Weye die Geschichte eines Amuletts. Anhand seiner Besitzer erzählt sie Geschichten aus einem Jahrhundert und mehreren Kontinenten. In ihrem knapp 200 Seiten starken Comic erschüttert Weye nicht nur eindringlich durch tragische Schickale, auch ihr visueller Erzählstil ist bemerkenswert. Immer wieder schert sie aus der Handlungsebene aus, wenn sie die Worte der Protagonisten illustriert – mal in naiven Skizzen, mal in überraschenden Allegorien oder düsteren Visionen. Weye bricht so den Erzählfluss auf und entfaltet einen ungewöhnlichen Rhythmus (avant verlag). Auf ganze zehn Bände und 560 Seiten ist „Unter dem Hakenkreuz“ von Beuriot & Richelle angelegt. Die beiden Franzosen begleiten mit ihrem realistischen Stil und verschachtelter Erzählweise das Schicksal der Jugendfreunde Katharina und Martin. Sie ist Jüdin, er bei der Wehrmacht. Beide finden sich in Frankreich wieder, und ihre Freundschaft wird zur Liebe. Die Ereignisse sind für die Epoche vergleichbar harmlos, die Shoah kommt in den bislang erschienenen fünf Bänden nur am Rande vor. Stattdessen wird der zunehmend restriktive Alltag genauestens beschrieben. Die Bände „Katharina“ und „Widerstand“ sind nun erschienen (Schreiber & Leser).

Emmanuel Moynot
wurde zuletzt mit seinen an Jacques Tardi angelehnten Leo Malet-Adaptionen ins Deutsche übersetzt. Mit „Tod eines Blauwals“ erzählt er eine eigene Story um den sowohl beruflich als auch privat ins Schlingern geratenen Schriftsteller Simon. Als er auf sein großes Vorbild trifft, folgt eine weitere Enttäuschung. Ständig erwartet man einen Krimiplot, doch Moynot umspielt das Genre nur und erzählt vor allem vom kreativen Akt des Schreibens und der dafür notwendigen Selbsterkenntnis. Stilistisch entfernt er sich ein wenig von den Tardi-Hommages, nicht zuletzt durch die Farbakzente (Schreiber & Leser). Joann Sfars Serie „Professor Bell“ vereint Absurdität und Abgründe. Sfar zeichnet Joseph Bell, Arthur Conan Doyles Inspiration für Sherlock Holmes, als düsteren, drogensüchtigen und der Mystik zugewandten Antihelden. Seine Fälle sind nicht minder bizarr. Die Bände 4 und 5 – „Die Gesellschaft der toten Königinnen“ und „Die Kobolde Irlands“ – zeigen Bell zunehmend als bedrohlichen Psychopathen. Vielschreiber Sfar lässt seine fantastische Serie seit dem dritten Band von Hervé Tanquerelle zeichnen, der Sfars monströses Fin de Siècle wunderbar einfängt (avant verlag).

CHRISTIAN MEYER

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Drachenzähmen leicht gemacht

Lesen Sie dazu auch:

Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25

Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25

Aufwändige Abschlüsse
Comics, die spannend Geschichten zu Ende bringen – ComicKultur 02/25

Massenhaft Meisterschaft
Neue Comics von alten Hasen – ComicKultur 01/25

Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24

Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24

Krawall und Remmidemmi
Begehren und Aufbegehren im Comic – ComicKultur 10/24

Ein Quäntchen Zuversicht
Düstere, bedrohliche Welten mit kleinem Hoffnungsschimmer – ComicKultur 09/24

Kunst leben, Kunst töten
(Auto-)Biografische Comics bleiben ein großer Trend – ComicKultur 08/24

Repetitive Einsamkeit
Comics aus der (inneren) Isolation – ComicKultur 07/24

Allzu menschlicher Sternenkrieg
Annäherungen an Philosoph:innen und Filmemacher:innen – ComicKultur 06/24

Von Kant bis in die Unterwelt
Zarte und harte Comicgeschichten – ComicKultur 05/24

Literatur.

HINWEIS