MUT ZUR BEWEGUNG
GEGEN FUSSBALL, FERNSEHEN, FASTFOOD
In diesen Monaten leben wir selbst vor dem Fernseher zu Hause gefährlich. Denn, so haben uns Krankenkassen, Mediziner und prominente ehemalige Sportler belehrt, die Gefahr eines Herzinfarkts steigt statistisch gesehen mit jedem spannenden WM-Spiel. Das liegt nicht nur an der Ungewissheit, ob denn der Elfer nun reingeht oder nicht, sondern auch am Zustand der Volksgesundheit.Nahezu zwei Drittel der Männer und rund die Hälfte der Frauen gelten den Fachleuten hierzulande als „übergewichtig“ und damit als zu dick. Die Hauptursachen dafür sind lange bekannt: Bewegungsarmut, viel Fernsehen und Fastfood. Für diese Art Freizeit wirbt immer aufs Neue eine mächtige Allianz aus Lebensmittelindustrie, Handelsketten, Wirten, Werbung und Medien. Über allem wacht die FIFA, die gegen viel Geld ihr Signet verleiht. Für den Monat Juli ist in Teilen der Republik sogar ein Anstieg des Jugendalkoholismus prognostiziert. Doch trotz der ausufernden WM-Propaganda braucht man den Mut nicht zu verlieren. Eben hat das konservativ-renommierte Allensbach-Institut ermittelt, dass sich ein Drittel der über 14Jährigen kaum oder gar nicht, 31 Prozent „nicht so sehr“ und nur 36 Prozent „ganz besonders“ für Fußball interessieren. Das gibt Hoffnung.
In Bewegung bleiben
Die Mehrheit der KölnerInnen sitzt derweil nicht träge im Sessel. Auch während der WM wird gejoggt, geradelt, geschwommen, gewandert und trainiert. Dabei bieten sich immer neue Sportarten an. So kann man beim Bouldern Klettertechniken „für alle Lebenslagen“ erlernen. Man kann mit Headis per Kopf einem dem Tischtennis nachempfundenen Spiel frönen. Beim Slackline balanciert man auf einem Schlauch- oder Gurtband, das einen ständigen aktiven Ausgleich der Eigenbewegung verlangt. Wer Body & Mind pflegen will, kann Qigong oder Poweryoga üben. Als Neuestes wird hier Kundalini Yoga als besonders dynamisch und bewegungsorientiert empfohlen. Es gibt aber auch Sportenthusiasten, die weniger transzendenten Disziplinen wie dem Kirschkernspucken nachgehen. Ein Kölner hat es hier schon einmal zur Weltmeisterschaft gebracht. Seine Spuck-Distanz: 19,56 Meter. Auch sonst gibt es jede Menge Deutsche, Europa- und Weltmeister rund um den Dom. Ob beim Beachvolleyball, bei Kendo oder Futsal (Fußball mit kleinerem Ball und wenig Körperkontakt), ob beim Freestyle-Frisbee, beim Ultimate Frisbee oder beim Sepaktakraw, überall mischen immer wieder KölnerInnen auf den vorderen Rängen mit. Die neue Vielfalt der sportlichen Aktivitäten spiegelt die gesellschaftlichen Trends der letzten 30 Jahre und, damit verbunden, eine wachsende Freude an Bewegung. Im heutigen Köln sind jeweils 75 Prozent der Frauen wie der Männer sportlich aktiv. Der weibliche Teil der Bevölkerung besucht Fitness-Studios sogar häufiger als der männliche. Auch das wachsende Alter im Zuge der demographischen Entwicklung bremst den sportlichen Elan nicht. Über die Hälfte der über 60Jährigen und noch ein gutes Viertel der über 70Jährigen sind hier noch aktiv. Die klassischen Motive des Wettkampfsports werden dabei allmählich von einem Motivmix aus Gesundheit, Spaß-Haben-Wollen und Erlebnisorientierung überlagert. Schon lange verzichten die meisten auf einen Verein, nur ein Viertel ist dort noch Mitglied, ein Fünftel bedient sich kommerzieller Einrichtungen, der Rest organisiert sich selbst. Man bewegt sich individuell oder verabredet sich mit Freunden. Frauen sind bei der Suche nach neuen Sportangeboten übrigens deutlich neugieriger und aufgeschlossener als Männer. Während beim sogenannten starken Geschlecht zwei Drittel auf alt gewohnten Pfaden wandeln, wollen zwei Drittel der Frauen neue Sportangebote kennenlernen. Die Nachfrage nach spezifisch weiblichen Sportangeboten steigt auch deshalb weiter.
Vereinsklüngel
Die Stadt kennt diese Trends, hat sie die doch selbst erforschen lassen. In der stadtkölnischen Sportpolitik finden die Interessen der breiten sportlichen Mehrheit in Köln allerdings kaum Widerhall. Schließlich zählt im Rat vor allem der Verein. So ist bei der aktuellen Vorgabe „Sportstadt Köln“ zwar am Rande von mehr Bewegungsräumen für den Individual- und Gesundheitssport die Rede, im Kern aber kümmert man sich vor allem um den Vereins- und Leistungssport. Unter OB Jürgen Roters (SPD) soll Köln endlich führende „Sportstadt“ werden. Dafür stehen Events wie Weltmeisterschaften, Endspiele, die Förderung des Leistungssports und „spektakuläre Sportbauten“ ganz vorn auf der Agenda. Im Steuerungskreis der „Sportstadt Köln“ sitzen denn auch die üblichen Verdächtigen, darunter Lanxess-Arena-Geschäftsführer Ralf Bernd Assenmacher, FC-Manager Michael Meier, der frühere WDR-Sport-Kommentator Heribert Fassbenderund der wendige Olympionike Michael Vesper (Grüne). Der vormalige NRW-Minister fürStädtebau und Wohnen, Kultur und Sport macht sich heute für die Bewerbung von München und Garmisch-Patenkirchen für die Winterolympia 2018 stark – gegen den Widerstand der meisten bayerischen Umwelt-Organisationen.
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