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Strunk und die Datingcrew
Foto: Marielena Wolff

White Trash Love

02. Mai 2017

Heinz Strunk betüdelte am 26.4. das Gloria mit einer Lese-Sound-Mische – Literatur 05/17

Im richtigen Leben (Aber was ist das schon?) heißt Heinz Strunk: Jürgen, Halfpape. „Halb Mensch, halb Pape“. Das Wort „Pape“ ist abgeleitet vom mittelniederdeutschen Pape, also Pfaffe, Weltgeistlicher. Ein Halbpriester und Mettwurstpapst ist er. Der Verdacht auf Apostelwahn bestätigte sich laut eigener Aussage nicht.

Sein junges Dorfleben wird von schwerer Akne gezeichnet und durch die Schizophrenie der Mutter in ein beengendes Förmchen der Depression gepresst. Halfpape gönnt sich im Umkehrschluss bitter-süßen Suff und Glücksspiel und landet (oder endet) bei den Tiffany's, einer trivialen Tanzkapelle, mit der er sage und schreibe 12 Jahre durch Norddeutschland tourte (oder gurkte). Dieses verzweifelte Schützenfest-Dasein verarbeitet Strunk in „Fleisch ist mein Gemüse“ (2004).

Doch Strunk scheint sich zunehmend zu erholen. Er wirkt ruhiger in Stimme und Gestik. Er verwandelt seine innere Qual in skurril-morbide Beobachtungen und ist damit musikalisch und literarisch erfolgreich. Der Erfolg tröstet, aber die Schwermut bleibt. „Erfolg ändert da gar nicht so viel, also an dem Gefühl, mit dem man jeden Morgen aufwacht“, sagt Strunk. Tragisch-komisch – das ist sein Genre. „Alle Menschen sind am Anfang gut und am Ende wieder und die Zeit dazwischen damit beschäftigt, ein Leben zu führen, das nichts mit ihnen zu tun hat.“ Er vermittelt ein subtil-ungutes Gefühl, das so ziept, weil es wahr ist. Aber dann ist da auch ein großer Anker im Meer der Verzweiflung – der Humor. Eine Mutter für alle Einsamen und Verzweifelten. Juhu, da kommt das Spaßschiff vorbei, um uns zu retten. Vielleicht die klügste Waffe gegen all die Hoffnungslosigkeit. Denn Strunk ist auch ein lachendes Drittel vom Comedy-Trio Studio Braun, gemeinsam mit Rocko Schamoni und Jacques Palminger.


Musiker, Entertainer und Autor: Heinz Strunk, Foto: Dennis Dirksen

Aber zurück zu Strunk, welcher bei der Bundestagswahl (2005) auf der Hamburger Wahlliste der PARTEI kandidierte und einen Gastauftritt bei Scooter (2011) hatte, wo er ein Solo auf der Querflöte zu „How Much Is the Fish?“ spielte, um nur zwei Momente außerhalb seines literarischen Wirkens zu nennen, welches in seinem Roman „Der goldene Handschuh“ (2016) gipfelte und von den Kritikern gefeiert wurde. Hier begibt der Autor sich in die verschimmelte und vollgepisste Vorhöllen-Welt des Serienmörders Fritz Honka. Er legt den Finger schonungslos und dennoch respektvoll in die Wunden der Realität, dieses von Hass auf Frauen, wahnhafter Geilheit und Sentimentalität getriebenen Menschen.

Nach diesem Höllenritt kommt „Jürgen“ wie eine harmlose Ulknudel auf Kaffeefahrt mit Rainbowtours daher. Belanglos? Naja, Jürgen ist ein passender Repräsentant für die alltägliche Vorstadt-Hölle des einsamen Mannes. Er steuert auf den Tod all seiner unerfüllten Träume zu. „Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!“ Fuck off, Carpe diem-Mentalität! Wenn du nichts zu leben hast, dann ist eine blühende Fantasiewelt alles.

Heinz Strunk liest und imitiert, schlüpft samt Verkleidung in Rollen und ergänzt die Lesung mit einer Diashow. Musikalische Einspieler werden vom Publikum fast irritiert aufgenommen. Man fühlt sich wie bei einer kuriosen Dating-Show, in der sich teils erbarmungswürdige Gedanken der Männer eröffnen. Aber das große Leid wird durch Humor in appetitliche Metthappen portioniert. Jedoch ist mancher Spruch wirklich zu platt, um auf einer Platte zu landen. Oder ist Timing doch eine Stadt in China? Die Pop-Platte zum Buch, „Die gläserne Milf“, bietet einen Track mit dem Namen „Sex ohne Menschen“. In diesem heißt es: „Ich will von dir einmal so angesehen werden, dass sich alle Schmutzreste von der Seele lösen.“

Vielleicht ist dieser Strunk ja doch ein halber Priester, der mit seinen Figuren, die niemals Wutbürger sind, die gesamte Skala des menschlichen Elends schonungslos herunterrutscht, aber stets die Hoffnung streut, dass wir alle nicht bloß Rohrkrepierer sind, die aufgrund all der konsumierten Konservierungsstoffe nicht verrotten. Sondern, dass man mit einem richtigen Freund (oder einer „need company“) und ordentlichen Verblendschnäpsen die Schmutzreste von der Seele schubbern kann bis: „Du mich so lange anschaust bis der Abdruck des Schreckens und des Nichts auf meinem Gesicht verschwindet.“

Heinz Strunk: Jürgen | Rowohlt | 256 S. | 19,95 €

Studio Braun live: „Drei Farben Braun“ | Mi 31.5. 20 Uhr | E-Werk | Tickets im VVK

Marielena Wolff

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