„Hat man erst angefangen zu reden, kann alles mögliche dabei herauskommen“! Das behauptet zumindest der Titel von Pirmin Beelers Comic. Beeler schildert in seiner autobiografischen Geschichte, wie er seine Mutter und ihren kurdischen Freund in der Türkei besucht. Die Mutter, so erfahren wir in Rückblenden, wurde einst in die Psychiatrie eingewiesen. Später trennten sich die Eltern wegen der Probleme. Als Kind und Jugendlicher konnte Beeler all das nicht verstehen, doch nun begegnet er ihr mit einem großen Wohlwollen. Über mehrere Zeitebenen hinweg entfaltet Beeler elliptisch die Biografie seiner Mutter – gezeichnet in sanften Aquarellen. Lucas Harari verbindet in „Der Magnet“ alte Legenden mit neuer Architektur. Einen Architekturstudent kommt einem Geheimnis der von Peter Zumthor erbauten Therme in Vals, das mit einer alten Legende zusammenhängt, auf die Spur. In kantigen, mitunter expressiven Zeichnungen verfolgt Harari die Abenteuer seines jungen Protagonisten, die sich zunehmend dem Fantastischen öffnen und dabei nichts an Spannung missen lassen. Der großformatige Band ist mit dickem Papier und tollem Druck vorbildhaft (beide Edition Moderne).
Mit ihren 22 Jahren kann Tillie Walden schon einige Veröffentlichungen vorweisen, „Pirouetten“ ist sicher die bedeutendste. Hier erzählt sie von ihrer Kindheit zwischen zwei eher abwesenden Eltern, dem Drill beim Leistungssport als Eiskunstläuferin und ihrer Unsicherheit als Lesbe, die sie seit früher Kindheit erlebt. Walden schreibt und zeichnet sich mit ihrer autobiografischen Coming-of-Age-Geschichte, die zugleich eine Geschichte ihrer Emanzipation vom Sport und ihres Coming outs ist, allen Ballast von der Seele. Das gelingt ihr eindringlich und ist sehr ehrlich und berührend. Ihr werden die Zusammenhänge scheinbar selber erst während des Entstehens ihres mächtigen, 400-seitigen Comics klar (Reprodukt). Auch Katja Klengel betreibt Seelenreinigung. Sie setzt dem Mansplaining ein „Girlsplaining“ entgegen und schimpft mit großartigem Humor gegen gesellschftlich eingeimpfte weibliche Scham an: Scham vor dem eigenen Körper und der eigenen Sexualität. Der Leser darf sie begleiten, wie sie all das lustvoll abstreift in ihrer Kolumne aus dem Onlinemagazin Broadly, die nun in Buchform versammelt wird (Reprodukt)!
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