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Unheilig

29. November 2012

Wortwahl 12/12

Ich weiß, ich weiß, es ist Advent. Zeit der Besinnung usf. Muss man da unbedingt provozieren?! Aber andererseits: Wenn ich mir angucke, mit welcher Ungläubigkeit unsere Hemisphäre auf die schäumende Wut einiger Islamisten (nicht Terroristen) reagiert, brauch’ ich mir keine Sorgen machen, dass eine Horde christlicher Fundamentalisten in einer Woge des Hasses über mich herfällt, wenn ich der ein oder anderen heiligen Kuh auf den Schwanz trete. Bei uns regiert ja schließlich die reine Vernunft. Noch sind wir – zumindest hierzulande – nicht so weit, dass wir alle wissenschaftlichen Theorien bezüglich des Urknalls in die Tonne treten, um den bibelreinen Schöpfungsmythos aus dem 1. Buch Mose zu predigen.

Noch kann man ohne Gefahr einem Hunter S. Thompson als Vorreiter einer sozialen Gegenkultur in Erinnerung huldigen, der nicht zuletzt in seinen „Rolling Stone Jahre(n) (Heyne) politisch unkorrekt Salz in die scheinheilig verdeckten Wunden unserer Gesellschaft gestreut hat. Aber was ist schon p.c.? Klingt irgendwie wie TBC, nach einer allgemein grassierenden geistigen Schwindsucht. Manchmal muss man mit der Axt durch den Wald ziehen und zum Beispiel die von Eric Kroll plakativ editierte Comic-Art-Retrospektive eines „Eric Stanton“ (Taschen) unauffällig auffällig als Coffee-Table-Book platzieren. Ein herrliches Plaisirchen, wenn sich der Gemeindepfaffe angesagt hat, weil er sich partout nicht mit dem Kirchenaustritt eines seiner Schäfchen abfinden will, oder die stockkonservativen Schwiegereltern beim Adventsbesuch über das mühsam angehäufte Erbe schwadronieren wollen. Die garstig-zotigen Strips und Cover-Illustrationen „For the man who knows his place“ (UT) lassen keinen Zweifel, dass selbst den Herren der Schöpfung Ungemach droht. Wer nicht hören will, muss fühlen?! Es wird Zeit, den Spieß umzudrehen.

Mit Reinhard Kaisers leichtfüßiger, wohlpointierter Neuübersetzung von F. Scott Fitzgeralds grandiosem Klassiker „Der große Gatsby“ (Insel) braucht man allerdings weder den anachronistischen Gottesgünstlingen, noch den neureichen Schwarz-Gelb-Malern zu kommen. Viel zu schöngeistig, als dass sie begreifen würden, dass sie sich für ihren nur durch ihre verdrehte Moralität zu rechtfertigenden Überfluss nichts kaufen können. Und auch Curtis Jacksons gerade in ihrer Drastik einfühlsame Ghettokid-Ballade „Playground“ (Rowohlt) wird kaum nachhaltig Wirkung zeigen. Die ach-so-sensiblen Muttertiere werden die Hände überm Kopf zusammenschlagen über das „gotterbärmliche“ Schicksal des armen Negerkindes und dann die böse Welt aus Gewalt und Verwahrlosung genauso weit von sich weisen wie ihre dividendenreinen Alphamännchen. Wenn sie’s überhaupt lesen; schließlich ist Butterball nicht der Heiland, und der als 50 Cent bekannte Autor weiß Gott kein Apostel. Sie haben ja schon Friedrich Anis kongenialer TV-Adaption seines zynisch in sich gekehrten Kommissars Tabor Süden nach zwei Folgen den Quotentod beschert. Viel zu nah spielen sich die bedrohlich-düsteren Gesellschaftstragödien à la „Süden und das heimliche Leben (einer vermeintlich mediokren Kellnerin) (Knaur) ab, als dass sie ihre heile Welt dann noch aufrechterhalten könnten.

Ein Oliver Stone weiß das, weswegen er seine Verfilmung von Don Winslows „Zeit des Zorns“ aus dem kalifornisch-mexikanischen Drogenmilieu mit plumpem Humor und geballter Action realitätsentfremdet weichgespült hat. Dabei sind die Romane des Hard-Boiled-Autors verdammt nah dran. Schon bei dem soeben erschienenen Prequel „Kings of Cool“ (suhrkamp) schwingt von Anfang an die unselige Allianz von heiligem US-Kapital und selbstherrlichen Narcos mit, deren Welle auch die Hippie-Surfer-Kultur erfasst hat. Wer tiefer in diesen Sumpf eintauchen will, dem seien als Einstieg mit „Sterben in Mexiko“ (Tiamat) John Giblers schockierend reale „Berichte aus dem Inneren des Drogenkriegs“ (UT) empfohlen. Aber wer will sich im friedfertigen Rausch von Kaufhaus-Muzak und Räuchermännchengestank schon aus der wohlig belämmerten Vorweihnachtstrance reißen lassen?

LARS ALBAT

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