Dieses Mädchen in schwarz-weiß vor dem Panzer ist eigentlich kein wirklich schöner Anblick. Da hilft es auch nicht, dass es sich ein Bild von Jerry aus der Zeichentrickserie „Tom & Jerry“ vor das Gesicht hält. Aber hier macht der Künstler Rawand Jawad eben auch klar, wo das Paradies ganz weit weg zu sein scheint: in den Geschichten der Kinder aus seiner Heimatstadt Erbil, die ihre Kindheit in den Wirren der Kämpfe um die Autonome Region Kurdistan verloren haben. Und so passt sein Bild dann doch wieder in das gemeinsame Online-Kunstprojekt des Autorencafés fremdwOrte und des Kunstvereins 68elf, das vom 13. bis zum 28.8. in der Kunsthalle Lindenthal als Ausstellung zu sehen ist. Denn wie der Name bereits verrät, dreht sich hier alles um ein einziges Wort: „Paradies“.
Es sind bei weitem nicht nur die positiven Assoziationen mit dem Begriff, die dabei abgebildet werden, so viel wird schnell klar. Ganz im Gegenteil: Oft sind es ausgerechnet verlorene Paradiese wie die schöne Erinnerung an lange Vergangenes, die es den Künstlern wert sind, über sie zu berichten – oder aber der schlimme Gedanke, dass ein Paradies überhaupt nicht existiert. Dadurch ergibt die Zusammenstellung ihrer Werke vielleicht alles Mögliche, aber keine Anhäufung von Kitsch. Sie ist ein buntes Durcheinander zwischen Euphorie, Nostalgie und Schmerz, zwischen teilweise harter Realität und wundersamem Traum.
Vor allem ist sie aber eine kreative Gegenüberstellung von 38 bildenden Künstlern und Schriftstellern mit ganz verschiedenen persönlichen Hintergründen aus Köln und aller Welt, die sich ganz verschiedene persönliche Paradiese vorstellen. Gemeinsam haben sie nur, dass sie alle bestehende oder eigens dafür hergestellte Werke zu dem seit Ende 2020 laufenden Online-Projekt beigesteuert haben – und so auf einer neuen Metaebene zusammenwirken. Hier liegt auch gerade die Absicht hinter dem Ganzen begründet.
„Jeder Mensch verbindet etwas ganz eigenes mit dem Wort ‚Paradies‘. Mit unserem Projekt wollen wir einen Dialog darüber ermöglichen“, erklärt Kuratorin Christiane Rath, die „Paradiese“ zusammen mit Kulturvermittler Roberto DiBella initiiert hat. Und tatsächlich wirkt dieser Dialog – trotz des wuchtigen Wortes, das ihn antreibt – auch wirklich zeitgemäß.
Immerhin sind viele der allgemein bekannten Vorstellungen von Himmel und Hölle recht eindimensional und alles andere als aktuell. Vielmehr scheint die Idee des Paradieses aus der kollektiven Vorstellung des Jenseits in das ganz persönliche Hier und Jetzt der Menschen gewandert zu sein, um dem Einzelnen zu überlassen, es für sich selbst zu entdecken. Im Umkehrschluss wird daraus eine traurige Erkenntnis, wenn man bedenkt, dass jeder – ob er es nun ganz nah oder weit weg von sich selbst empfindet – nur sein eigenes Paradies kennt, ohne zu wissen, was das Wort für andere bedeutet. Vielleicht kann „Paradiese“ von Christiane Rath und Roberto Di Bella an dieser einen Stelle etwas Abhilfe schaffen.
Paradiese | 13. - 28.8., Fr 18-21 Uhr, Sa, So 15-18 Uhr | Kunsthalle Lindenthal | www.paradiese.koeln/projekt
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