Mitunter erzählt ein Comic so flüssig, dass man glaubt, einen Film gesehen zu haben. Dann verschmelzen die Panels zu einem Ganzen, wie im Film die Einstellungen. „Das Attentat“ von Loic Dauvillier und Glen Chabron ist so ein Comic. Die nach dem Roman von Yasmina Khadra erzählte Geschichte um einen libanesischen Arzt in Israel, der damit konfrontiert wird, dass seine Frau ein Selbstmordattentat verübt hat, thematisiert in detailreichen Zeichnungen einfühlsam, schwungvoll und äußerst klug das grundsätzliche Drama des Nahostkonflikts (Carlsen). Filmischen Fluss suggerieren ist aber nur eines von vielen möglichen ästhetisches Zielen im Comic. Sachlicher, spröder ist die Reportage „Green River Killer“ angelegt. Jeff Jensen erzählt von der jahrzehntelangen Jagd seines Vaters Tom Jensen nach dem Massenmörder Gary Ridgway. In Rückblenden komplex erzählt, nähert sich die von Jonathan Case in schwarzweiss umgesetzte Geschichte den menschlichen Abgründen (Carlsen). Peggy Adams „Gröcha“ erinnert zunächst an eine klassische Apokalypse: Eine Seuche geht um, die Staatsmacht interniert die Kranken und kontrolliert die Straßen, um die Krankheit einzudämmen. Im Zentrum steht eine Kleinfamilie: Das Kind ist bereits tot, die Frau infiziert, und der Mann flieht in eine Berghütte. Dort holt ihn sowohl die Vergangenheit als auch die Gegenwart ein. Die bedrückende Schwarzweiss-Geschichte endet mit verstörenden Bildern im surrealen Wahn (Avant-Verlag).
„Cromwell Stone“ von Andreas erscheint erstmals komplett auf Deutsch. Zuerst fallen die extrem detailreichen, Stich-artigen Zeichnungen des in Frankreich lebenden deutschen Zeichners auf: Jedes Bild der Trilogie könnte einzeln im Museum hängen. Doch auch die an Autoren wie Poe, Lovecraft oder Hoffmann angelehnte Story zwischen Fantasy, Horror und Metaphysik ist alles andere als bescheiden: Es geht um nichts weniger als einen göttlichen Schöpfer, der auf der Erde feststeckt und mit aller Kraft zurück ins Universum will. Ein überbordendes, faszinierendes Werk (Schreiber & Leser). Hélène wird gehänselt. Der angehende Teenager durchleidet Tag für Tag einen Spießrutenlauf. Nur in der Literatur, bei der starken Jane Eyre, findet sie Trost. „Jane, der Fuchs und ich“ von Fanny Britt und Isabelle Arsenault erzählt in skizzenhaften Bleistiftzeichnungen vom grausamen Spiel unter Kindern. Die Flucht in die Literatur ist indes in akkuraten Farbzeichnungen gehalten (Reprodukt). Das auf vier Teilen à 200 Seiten angelegte „Blast“ von Manu Larcenet ist eine einzige lange Verhörszene eines Mordverdächtigen. Was genau Polza getan hat, wird lange nicht klar. Stattdessen wird in Rückblenden dessen nihilistische Befreiung von jeglicher zivilisatorischer Last ausgebreitet. Im dritten Band kommt Polza erstmals auf die eigene Tat zu sprechen. Ein bildgewaltiges und abgründiges Meisterwerk (Reprodukt).
Seit 2003 veröffentlicht 18 Metzger aus Köln seinen Strip „Totes Meer“ in der Zeitschrift „Jungle World“. Das Szenario ist an Matrosen auf See geknüpft, inhaltlich hat aber so gut wie alles darin Platz. Neben dem großartig abgründigen Humor sind daher auch die vielen allegorischen Verweise ein ständiger Quell der Freude. Jetzt erscheint der erste, kommentierte Sammelband im amtlichen Hardcover-Format (Ventil-Verlag). „Der Comic – Geschichte, Stile, Künstler“ des ebenfalls Kölner Autors Klaus Schikowski ist, wie es der Titel verspricht, eine Übersicht über die Gattung. Damit steht er in der Tradition der großen Einführungen von Andreas Platthaus und Andreas C. Knigge. Die letzten 50 Seiten sind ihren Vorgängern an Aktualität voraus (Reclam).
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