Das ist mal ein opulentes Werk: „Portugal“ von Cyril Pedrosa erzählt von einem Comiczeichner in der Schaffenskrise. Er muss erst seinen Alltag hinter sich lassen und eine Reise zu seinen Wurzeln wagen, bevor er voranschreiten kann. Die Selbstfindungsstory klingt nicht sonderlich aufregend, aber wie Pedrosa den Erzählrhythmus wechselt, von turbulenten Feiern zu ruhigen Beobachtungen, wie er von klaren Bildern zu sich überlagernden Liniengeflechten der Verwirrung wechselt, das ist sehr besonders. Überhaupt sind die leuchtenden Aquarellzeichnungen dieses 250-seitigen, großformatigen und toll aufgemachten Bandes eine wahre Augenweide. Auch Manu Larcenet hat sich mit „Blast“ einiges vorgenommen. Böse Story, großer Umfang: Der klobige Polza wird verhört. Er muss etwas Schlimmes getan haben und erzählt nun, wie er zu dem wurde, der er ist. Larcenet hält seinen Psychothriller in Schwarzweiß, aber die psychischen Extremzustände von Polza haben seine Kinder in wildem Bunt gemalt. Der 200 Seiten umfassende erste Band „Masse“ ist gerade auf Deutsch erschienen, das Ganze ist auf fünf bis sechs Alben angelegt. Craig Thompson ist mittlerweile durch seine Werke „Blankets“ und „Habibi“ weithin bekannt. Sein nun erstmals auf Deutsch erschienenes Debüt „Mach’s gut, Chunky Rice“ ist wie „Blankets“ autobiografisch inspiriert, auch wenn die Hauptfigur eine Schildkröte ist. Es geht um Enttäuschung, Trennung, Abschied und den Schritt in die große weite Welt. Thompson erzählt in wilden Linien und befremdlichen surrealen Szenarien von elementaren Gefühlen – traurig und schön zugleich. Aisha Franz versucht sich mit „Brigitte und der Perlenhort“ an einem Krimi: eine Hündin als Agentin, die irgendwie cool wie James Bond ist, aber ebenso schwer an den Problemen ihres Gefühlslebens leidet. Ständig verpatzt sie ihre Aufträge, weil sie sich in die Falschen verliebt. Ein tolles Genre-Stück mit viel Humor (alle Reprodukt).
Marzena Sowa wurde als Kind „Marzi“ genannt. Jetzt hat sie ihrem Freund Sylvain Savoia ihre Kindheitserlebnisse aus dem Polen der Jahre 1984 bis 1987 erzählt, der daraus eine so süße wie bittere Anekdotensammlung machte. Die Hauptfigur ist ästhetisch am Manga orientiert, der Rest der Zeichnungen sortiert sich zwischen Realismus und Funny ein. Allein die Episodenstruktur und der viele Erzähltext verhindern, dass man noch mehr in die Geschichte eintaucht (Panini). Bindi und MP5 erzählen in „Der Frevel am Altar der heiligen Klara“ von zwei kleinen Mafiosi, die im Mafia-Business ihren Mann stehen, aber heimlich eine Affäre haben. Abrupte Gewaltausbrüche treffen auf Leidenschaft – eine Anspannung, die die gesamte Story durchzieht. Die außergewöhnlichen, kontrastreichen Bilder sind kühl und verstärken das permanente Unbehagen (Schreiber & Leser). „Goliath“ von Tom Gauld ist andersherum erzählt. Nicht zeitlich andersherum, sondern moralisch umgedreht. In der kurzen, schlicht gezeichneten Geschichte ist Goliath ein naiver, gutmütiger Tropf, den seine eigenen Leute ausnutzen und der zum Opfer von Davids Ehrgeiz wird. Gaulds Perspektivwechsel ist so einfach wie effektiv (Reprodukt). Nach „Grenzfall“ widmen sich Susanne Buddenberg und Thomas Henseler mit „Berlin – Geteilte Stadt“ nochmals dramatischen Ereignissen in der DDR. War in „Grenzfall“ das nahende Ende der Mauer Thema, ist es nun die gesamte Zeit vom Mauerbau bis zur Öffnung der Grenzen. Der Band erzählt detailliert verschiedene wahre Episoden. Dass sich das Buch an Lehrer und Schüler richtet, verbergen die Autoren nicht. Sachlich und didaktisch wird erzählt und ein Begleittext ergänzt jede Episode (avant-verlag).
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