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Jan Saudek, „The walkman“, 1995

Nackt am Abgrund

03. Juli 2013

Ausstellung mit Arbeiten von Jan Saudek, dem Klassiker der Aktfotografie – Kunst in Köln 07/13

In einem feuchten Keller, die Wände voller blühender Schimmelkulturen, begann Jan Saudek zu träumen. Während oben die sowjetischen Panzer die Straßen der Goldenen Stadt verwüsteten, fotografierte Saudek schöne Frauen. Prall und lebendig wirken sie, zugleich scheinen ihre Körper schon von den Vorboten des Todes gezeichnet. Wir alle werden vermodern, aber nicht, bevor kräftig auf die Pauke gehauen wurde. Die eigenartige Erotik Prags mit Bier, Blechmusik, einem dahinsiechenden Franz Kafka und den schönen Töchtern Tschechiens – alle Klischees vereinigt Jan Saudek in seinen Fotografien, lustvoll, aggressiv und letztlich sentimental.

Keine Geschichte der Fotografie ohne eine Erwähnung seines Werks. Der 78jährige tschechische Fotograf zählt zu den am häufigsten zitierten Fotokünstlern des 20. Jahrhunderts. Saudeks Werk prägte nachhaltiger den Blick auf Prag und das Image, das die Stadt im Westen genießt, als die Arbeiten von Autoren und Filmemachern seiner Generation, wie Milan Kundera oder Milos Forman. Fleisch und Stein setzen die Akzente in seinen Bildkompositionen, wie man jetzt noch einmal in einer Ausstellung sehen kann, die von der in focus Galerie in Köln präsentiert wird. In Saudeks Aktfotografien dominieren schwere Brüste, breite Hinterteile und neben jungen Körpern tauchen immer wieder Körper auf, die in die Jahre gekommen sind.

Indem er einzelne Modelle über Jahrzehnte fotografierte, offenbart Saudek, wie der Zahn der Zeit den Menschen verändert. Der Tod bleibt dabei ein konstanter Bezugspunkt im Dialog mit dem nackten Körper. So hält eine entblößte junge Frau den Totenschädel ihres Vaters im Zwiegespräch in der Hand. Saudek sucht fast verzweifelt nach Tabubrüchen, wobei er das Repertoire der Obszönität – durchaus mit Humor – bis zur Erschöpfung ausreizt. Die Todesdrohung und die Sehnsucht nach der Geborgenheit im Schoß der Familie finden sich in fast jedem Bild des Jan Saudek, der als Zwillingskind die Konzentrationslager der deutschen Besatzer überlebte. Die Wucht der realen Körper fängt Saudek mit der traumhaften Note seiner Bildhintergründe auf, die als verwitterte Wandflächen die wolkige Dimension der Fantasie symbolisieren. Saudek koloriert seine Fotografien mit einer Eiweißlasur und verstärkt so ihre illusionistische Wirkung. Derb und zart geht es auf diesen Bildern zu. Der historische Hintergrund Prags schwingt in den verwitterten Kellerwänden nach, die Saudek in seinen Wohnungen vorfand. Morbidität, Vergangenheit und berstende Vitalität verschränken sich in diesen Fotografien zu Ikonen des charaktervollen Prags.

Freilich hat sich Saudek seit den 60er Jahren so oft in dieser Attitüde selbst zitiert, dass eine Art saudeksche Kitschproduktion entstand. Seltsam altmodisch wirken die Bilder heute, mit ihren plüschigen Farben, in denen sich die Aggressivität der frühen Jahre verflüchtigte. Heute beeindrucken sie durch ihren Humor und die Experimentierfreude, die jedes dieser Bilder in ein historisches Dokument verwandeln.

bis 20.7., Di-Sa 16-20 und nach Vereinbarung | in focus Galerie Köln, Brüsseler Str. 83 | www.infocusgalerie.com

Thomas Linden

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