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Magische Räume

30. Juni 2011

ComicKultur 07/11

Was für eine grandiose Idee: Jason erzählt von den Literaten im Paris des frühen 20. Jahrhunderts – von Scott Fitzgerald, James Joyce, Ezra Pound und „Hemingway“ – so der Titel der Geschichte. Nur: sie alle sind graphische Literaten – sie machen Comics! Und damit sind sie zugleich Hungerleider, denn mit Comics – das weiß jeder – kann man kein Geld verdienen. Also planen sie einen Raubzug, und das Unglück nimmt seinen Lauf. Ein meisterliches Werk mit raffinierter Erzähltechnik (Reprodukt). Als gelernter Pädagoge widmet sich Baru schon seit Jahrzehnten dem sozialkritischen Jugenddrama. Mit „Hau die Bässe rein, Bruno!“ erzählt er von einem afrikanischen Fußball-Migranten, der in Frankreich sein Glück sucht und unfreiwillig in kriminellen Machenschaften landet. Actionreich, aber nicht ohne Humor ist die spannende Story, streift dabei mehrere Themenkomplexe und lässt auch die Psychologie der Figuren nicht zu kurz kommen. Ein rundum gelungenes Werk des Altmeisters (Edition 52). Andreas Dierßens Graphic Novel „Die besten Zeiten“ wirkt zunächst wie eine etwas bemühte Fingerübung in verschachteltem Erzählen. Aber langsam baut sich da was auf, finden Geschichten zusammen, kreisen Figuren umeinander, eröffnen sich neben Alltagsrealismus gar magische Räume. Die Zeichnungen sind schlicht und grau, so wie die Großstadt, in der die Geschichte spielt (Carlsen).

Jeff Lemires erzählt in groben Tuschezeichnungen vom Leben in Ontario. Der erste Band „Geschichten vom Land“ seiner Trilogie „Essex County“ begleitet einen Waisenjungen, der bei seinem Onkel lebt und in Superheldenfantasien flüchtet. Bis er in dem ehemaligen Eishockeyspieler Jimmy einen Freund findet. Der zweite Band „Geister Geschichten“ geht zurück in die fünfziger Jahre und begleitet zwei Brüder bei ihrem kurzen Erfolg als Eishockeyspieler. Beide Bände sind vage miteinander verbunden. Lemire beherrscht die Kunst, mit wenigen Strichen einfühlsam und behutsam das tragische Leben seiner Figuren zu skizzieren (Edition 52). In „Markttag“ erzählt James Sturm von einem osteuropäischen Teppichknüpfer, der eines Tages erkennen muss, dass ihn die Industrialisierung übergeht. An einem beschwerlichen Markttag nimmt das Unglück seinen Lauf. Sturm, der bereits mehrmals historische Szenarien entwickelt hat, lässt hier in erdigen Ligne Clair-Zeichnungen eindrucksvoll das Handwerkswesen des frühen 20. Jahrhunderts und dessen aussichtslosen Kampf gegen den aufkommenden Kapitalismus auferstehen (Reprodukt). Frédéric Bertocchini und Jef widmen sich mit „Jim Morrison – Poet des Chaos“ in schweren, düsteren Zeichnungen dem Leben des charismatischen Sängers der Doors. Um Entmystifizierung scheren sie sich nicht, vielmehr gehen sie genau diesen Pfad: Morrison, der todgeweihte, von Genie und Wahnsinn gerittene Einzelgänger, lautet das wenig überraschende Ergebnis ihres skizzenhaften Biopics (Splitter).

Seit über 30 Jahren löst Sokals Entendetektiv „Canardo“ seine dubiosen Fälle mehr schlecht als recht. Mit Kippe, Pulle und Trenchcoat gerät er an die übelsten Gesellen. Gestartet wurde die Reihe mit einigen Kurzgeschichten, die bereits als Sammelalbum erschienen, nun aber in kolorierter Form im Hardcoverband „Eine schöne Flasche“ neu aufgelegt wurden. Von den drastischen Animal Farm-Anfängen ist es nicht weit zur Entstehung einer morbiden Noir-Welt voller verwahrloster Halunken in Tiergestalt. Die düstere Kolorierung ist sehr gelungen, nur schade, dass das Albumformat nicht eingehalten wurde (Schreiber & Leser).

CHRISTIAN MEYER

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