Die Marketing-Studentin Waad al-Kateab hat angefangen zu filmen, als im Jahr 2011 in Aleppo die ersten Knospen des Arabischen Frühlings hoffnungsfroh aufgingen. Aus einem einst friedlichen Versuch, einen freiheitlichen Umbruch zu erwirken, wurde dann ein Bürgerkrieg mit einer unüberschaubaren Zahl an Parteien mit einer kaum zu entwirrenden Interessenlage, die in den letzten Jahren zunehmend internationale Parteien auf den Plan rief. Mitten im Krieg heiratet Waad den Arzt Hazma und stellt fest, dass sie schwanger ist. Sie ist verzweifelt. Darf man in eine solche Welt ein Kind setzen? Den Widerspruch wird sie nicht auflösen. Doch das Paar entscheidet sich für das Kind und die junge Frau nimmt dies zum Anlass, Sama ihre Entscheidung zu erklären. „Für Sama“ (OmU im Cinenova, in der Filmpalette und im Rex am Ring) ist ein filmischer Liebesbrief an ihre Tochter, ein Dokument der Hoffnung, aber auch ein Dokument des Schreckens, das zeigt, wie wunderbar und wie grauenvoll Menschen handeln können. Waad al-Kateab begleitet ihren Dokumentarfilm mit einem Off-Kommentar, mit dem sie sich liebevoll an ihre Tochter wendet und ihr erklärt, was dort in ihrem ersten Lebensjahr geschieht, auch wenn es nur schwer auszuhalten ist: Wir sehen wie Bomben fallen und die Räume des Krankenhauses erschüttern, wir sehen wie verletzte eingeliefert werden, wie häufig nur noch der Tod der Menschen feststellt werden kann. Wir sehen fürchterliches Leid, Trauer und Entsetzten. Wir sehen aber auch, wie die Menschen sich gegenseitig stützen und helfen, wie sie zusammenrücken und gemeinsam lachen. Mit Hilfe des britischen Regisseurs Edward Watts wurde eine Dramaturgie aus dem umfangreichen Rohmaterial geformt, das Waad aus dem besetzten Gebiet schmuggeln konnte. Man muss eine Warnung aussprechen, weil der Film nicht zurückschreckt vor dem Schrecken und alles so nah und direkt zeigt, wie es die Menschen dort erlebt haben. Man sieht Verwundete, Sterbende und Tote. Aber „Für Sama“ ist ein unglaublich wichtiger Film. Nicht zuletzt, weil diese schockierenden Dinge passiert sind, sondern auch weil sie leider ganz aktuell auch wieder genau dort passieren, in einem Bürgerkrieg, der die Zivilbevölkerung vertreibt oder vernichtet.
Fabienne ist eine aristokratisch anmutende Grande Dame des französischen Films. Sie lebt in einer Villa in Paris, wird privat von einem geduldigen Lebenspartner umsorgt und beruflich von einem noch geduldigeren Manager. Denn Fabienne ist nicht nur eingebildet, sie kann auch ziemlich arrogant und zickig sein, mitunter auch richtig boshaft. Das weiß auch ihre in New York lebende Tochter Lumir. Sie reist mit ihrem Mann Hank und ihrer kleinen Tochter Charlotte an, weil ihre Mutter gerade ihre Memoiren veröffentlicht. Als sie das Manuskript zur Hand nimmt, liest sie von Fabienne als einer wunderbaren, aufopferungwilligen Mutter, die mit größter Kraft Berufliches und Privates perfekt miteinander verbindet. Lumir hat da ganz andere Bilder aus ihrer Kindheit im Kopf - und stellt die Mutter zur Rede. Hirokazu Kore-eda gilt spätestens seit „Shoplifters – Familienbande“ als Meister des japanischen Kinos. Mit „La Vérité – Leben und lügen lassen“ (Cinenova, Odeon, Weisshaus) liefert er nun seine erste nicht-japanische Tragikomödie ab. Catherine Deneuve mimt die selbstgerechte Über-Mutter mit einer Mischung aus Unvermögen und Boshaftigkeit, Juliette Binoche balanciert die auch als erwachsene Frau und Mutter immer noch aufbegehrende und doch vom Urteil der eigenen Mutter abhängige Tochter aus. Und Ethan Hawke mimt den etwas tumben amerikanischen Schauspieler, der mit Lockerheit seine gescheiterte Karriere überspielt.
Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) schläft wie immer seine Mittagsmigräne aus, als es klingelt. Vor der Wohnungstür steht ein Känguru, das Eier für Eierkuchen leihen will. Weil dem Känguru, wie sich herausstellt, auch Salz, Milch, Mehl, Öl, Pfanne und ein Herd fehlen, nistet es sich kurzerhand beim Berliner Kleinkünstler ein – als Arbeitsverweigerer und Kommunist natürlich mietfrei. Der Beginn einer aufreibenden eheähnlichen WG, die Basis sein wird für absurde Wortgefechte, Peinlichkeiten und die Gründung der Anti-Terrorinitiative „asoziales Netzwerk“ im Kampf gegen den schmierigen Rechtspopulisten Dwigs (Henry Hübchen). Für eine breite Fanbase und die Mehrheit der deutschen Literaturkritik sind die vier Känguru-Werke des Autors und Kabarettisten Marc-Uwe Kling die neue Satire-Bibel. Ihr erster Teil, „Die Känguru-Chroniken“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Odeon, Residenz, Rex am Ring, UCI), entstand als wöchentlicher Berliner Radio-Podcast „Neues vom Känguru“ und wurde 2009 in Buchform bundesweit Kult. Wie verfilmt man so was? Am besten, indem man den Autoren das Drehbuch schreiben lässt. Marc-Uwe Kling wählt einen so simplen wie einleuchtenden Weg: Er packt sein eigenes sozialphilosophisches Allerlei in eine Krimikomödie, die Handlungsfragmente aus allen vier Büchern zusammenwürfelt. Das nicht immer lupenrein animierte Känguru spricht er persönlich, eine Besetzung, die in diesem Fall unendlich mehr Sinn macht als jeder externe Schauspieler. Die Regie übernahm Dani Levy („Alles auf Zucker“, „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“). Mehr als Romanze und Politklamauk will Klings Selbstadaption vor allem eins sein: eine Buddykomödie, die sich liebevoll vor den Ansichten seines vorlauten Beuteltiers verbeugt. Vor Schnapspralinen, Anti-Terror-Anschlägen, Bud Spencer und Terence Hill, eben allem, das asozial viel Spaß macht.
Aber das war doch Kandinsky! Auch er selbst reklamierte für sich, 1911 das erste abstrakte Bild gemalt zu haben. Hilma af Klimt reklamierte nichts, war in keiner Künstlergruppe, stellte nicht aus und landete folgerichtig nicht in den kunsthistorischen Werken über die Moderne. Doch es war sie, die 1906 das erste abstrakte Bild malte. Erst Jahrzehnte nach ihrem Tod wird die Kunstwelt aufmerksam auf sie, eine Retrospektive 2013 zeigt Teile ihres großen, großformatigen, bunten und mystischen Werks. Mit kenntnisreichen Auskünften – auch aus ihren eigenen Aufzeichnungen, einer inspirierten und atmosphärischen Kameraführung und inszenierten Impressionen zum Schaffensprozess gelingt Halina Dyrschka in „Jenseits des Sichtbaren – Hilma af Klint“ (Odeon) das lebhafte und verblüffende Porträt einer von der männlich dominierten Kunstgeschichte ignorierten Pionierin.
Außerdem neu in den Kinos: Autumn de Wildes Neuverfilmung des Jane-Austen-Klassikers „Emma“ (Cinedom, Cinenova, Rex am Ring, UCI, OmU im Metropolis), Ulrike Ottingers Paris-Erinnerungen „Paris Calligrammes“ (Filmpalette, am 4.3. um 20 Uhr im Filmforum mit der Regisseurin), Silke Schranz' und Christian Wüstenbergs Doku „Spitzbergen - Auf Expedition in der Arktis“ (Cinenova) und Richard Stanleys Sci-Fi-Trash „Die Farbe aus dem All“ (OmU in den Lichtspielen Kalk und in der Traumathek, OV im Rex am Ring). Dazu starten Dave Wilsons RoboCop-Actioner „Bloodshot“ (Cinedom, Cineplex, UCI), Wilson Yips Martial-Arts-Finale „Ip Man 4: The Finale“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, UCI) sowie das neue Pixar-Abenteuer „Onward: Keine halben Sachen“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, Metropolis, Rex am Ring, UCI).
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