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Claudia Fährenkemper, Tagebau Garzweiler, Serie Tagebaulandschaften 1989-1992
© VG Bild-Kunst, Bonn 1989

„Pathos entzaubern, indem man es zur Diskussion stellt“

27. Juni 2023

Der künstlerische Leiter und Kurator Marcel Schumacher über Aktuelles im Kunsthaus NRW – Interview 07/23

choices: Herr Schumacher, wie sehen Sie das Kunsthaus NRW? Als Museum oder Galerie?

Marcel Schumacher: Es ist beides. Das Kunsthaus ist eine Galerie im Sinne der Ausstellung junger künstlerischer Positionen. Gleichzeitig dokumentieren wir aber auch im Kontext der musealen Aufgaben ältere Werke.

Im Zuge der Präsentation zur Geschichte des Gebäudes sprechen Sie von einem „Weg der Seele zur Erlösung“. Ist das Pathos noch eine gewichtige Ausdrucksform der Kunst?

Die barocken Deckenmalereien in der alten Klosteranlage zeigen, wie die Seele eines Verstorbenen die Erde verlässt. In diesen historischen Bildwerken war Pathos eine zeittypische Ausdrucksform. Man kann dieses alte Pathos nur entzaubern, indem man es zur Diskussion stellt. Die Bilder verfolgen ein philosophisches und machtpolitisches Konzept. Dadurch werden Institutionen wie die Katholische Kirche aus heutiger Zeit auch in Frage gestellt.

Marcel Schumacher
Foto: Carl Brunn
Zur Person: Marcel Schumacher studierte Kunstgeschichte, Architektur, Germanistik und Philosophie und war als freier Autor, Dozent und Kurator tätig. Seit 2015 leitet er das Kunsthaus NRW Kornelimünster. Die Stätte präsentiert Arbeiten aus der Kunstgeschichte des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen von 1945 bis in die Gegenwart. Die Sammlung umfasst über 4000 Werke u. a. von Ernst Wilhelm Nay, Gerhard Richter, Sigmar Polke und Erika Hock.

Ist die Kunst für Sie eine Religion?

Ich würde es nicht als Religion, sondern als Praxis bezeichnen, in der gesellschaftliche und ästhetische Themen verarbeitet und diskutiert werden. Ansonsten würde ich von religiösen Gegenständen sprechen.

Aus seligen Gefilden kommen Sie mit der Ausstellung „bildwiderstand. garzweiler in film und fotografie“ auf den oder, besser gesagt, in den Boden der gegenwärtigen Tatsachen. Haben Sie bewusst nach starken Kontrasten gesucht?

Das Thema stellt eine Herausforderung, vielleicht auch Provokation, dar, den prächtigen Bildern aus der Vergangenheit etwas Gegenwärtiges, Erschreckendes entgegenzustellen. Wir sind hier nicht weit vom Tagebau Garzweiler entfernt. Übrigens ist unser Gebäude vom Hochwasser 2021 ebenfalls geschädigt worden. Die Folgen dessen, was wir in den letzten Jahrzehnten der Umwelt angetan haben, drücken sich auch in den Ausstellungsobjekten aus. 

Die Diskussion um die Kohleabbaustätten respektive Sinn- und Sinnlosigkeit fossiler Brennstoffe beherrschen die täglichen Nachrichten. Können Sie dem auch etwas Ästhetisches abgewinnen oder geht es hier lediglich um den dokumentarischen Faktor?

Zunächst einmal ist es schockierend zu sehen, was der Raubbau an der Natur bewirkt hat: eine enorme Zerstörung. Aus künstlerischer Perspektive tragen die Fotografien von verlassenen Dörfern aber auch ästhetische Bildnisse in sich. Das hat eine gewisse romantische Schönheit, wird aber durch den Hintergrund der damit verbundenen Umsiedlungen wieder korrigiert. Wir dokumentieren auch die Proteste in Hambach, die Traurigkeit und Schrecken offenbaren.

Sie versprechen diesbezüglich eine Weitererzählung der „Geschichte vom Verhältnis des Menschen zu seinem Lebensraum“. Wie endet diese bei Ihnen?

In einem Video von Gregor Schneider sehen wir einen „Sonnigen Untergang“ – so der Titel – über dem Tagebau. Das Licht vermischt sich jedoch mit einer riesigen Staubwolke. So erzeugt der Film auch eine bedrohliche Atmosphäre.

Im diesjährigen Skulpturengarten beleuchten Sie das „Verhältnis von Mensch und Natur im Spiel“. Welche Regeln herrschen da?

Das faszinierende am Spiel ist ja, dass es Regeln gibt. Die sollen unsere Besucher:innen selbst entwickeln. Es gibt dazu keine Gebrauchsanweisung. Die Gäste kommen immer wieder in Situationen, die dazu auffordern, spielerisch tätig zu werden, etwa bei der Zusammensetzung eines Zauberwürfels aus Aluminium-Skulpturen. Dann gibt es einen Ausstellungsraum im Ausstellungsraum in Form einer Hüpfburg. Sie entfaltet sich durch Bewegungsmelder. So kann die Kunst aus einer komplett neuen Perspektive wahrgenommen werden.

Im „white cube“ von Jonas Hohnkes sind die Besucher:innen dazu eingeladen, im Ausstellungsraum den eigenen Körper einzusetzen. Hannah Schneider inszeniert in der alten Klosterküche ein Regenbogenlabor. Marco Biermann und Thomas Kleiner lassen eine Topf-Pflanze durch den Garten wandern. Wird das Kunsthaus NRW zum Theater oder Varieté?

Theatralische Momente sind in der zeitgenössischen Kunst ein zentrales Thema und Motiv. Die Kunst hängt längst nicht mehr nur an der Wand, sondern tritt in allen möglichen Formen auf.

Dann gibt es noch die „sammlung mit losen enden 06: drei seiten des bildes“. Wo finde ich die dritte Seite – und was ist dort zu sehen?

Neben der Vorder- und der Rückseite stellt die dritte Seite eine imaginäre Seite dar. Sie befindet sich innerhalb des Bildes – sozusagen die dritte Dimension.

Das Haus wurde aufwändig saniert. Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch, die vorher nicht denkbar waren?

Wir haben jetzt die Möglichkeit, recht umfangreiche Sammlungen, aber auch Wechselausstellungen zu zeigen. Als zusätzlichen Ort können wir nun auch den Garten für Präsentationen nutzen. Außerdem sind Räumlichkeiten der alten Klosteranlage zugänglich, die früher nicht betreten werden konnten.

bildwiderstand: garzweiler in bild und fotografie | bis 24.9. | vorgang II | bis 22.10. | skulpturengarten 2023: playground & nature, sammlung mit losen enden: drei seiten des bildes | bis 25.2.24 | Kunsthaus NRW Kornelimünster | 02408 64 92

Interview: Thomas Dahl

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