Bereits im letzten Monat titelte die Comic-Kolumne in choices mit „Coming of Age-Comics“. Es geht diesen Monat ebenso weiter, und wieder kann man trotz der Thematik nicht behaupten, dass nur ein jugendliches Publikum anvisiert wird – weder bei „Die Mauer“ von Céline Fraipont und Pierre Bailly noch bei „Schwere See, mein Herz“ von Olivia Vieweg. Beide Graphic Novels erzählen von 13-jährigen Mädchen, die mit den Gefühlswirren der Pubertät völlig allein gelassen sind. In „Die Mauer“ lebt Rosie tatsächlich so gut wie alleine: Die Mutter ist mit einem Liebhaber durchgebrannt, der Vater ständig auf Reisen. Sie entdeckt den Whiskey im Wohnzimmer und geht immer seltener zur Schule. Als auch noch die Eltern der besten Freundin den Umgang mit ihr verbieten, ist sie ganz alleine. Bis sie den 16-jährigen Jo trifft, der ebenfalls alleine wohnt und wortlos Verständnis für sie zeigt. Die düsteren, mit starken Schwarzweiss-Kontrasten arbeitenden Zeichnungen machen „Die Mauer“ zu einer todtraurigen und sehr berührenden Erzählung, die einem die Tränen in die Augen treibt. „Die Mauer“ erzählt abseits von Unterschichtsklischees von vernachlässigter Aufsichtspflicht in einer selbstsüchtigen Mittelschichtsfamilie (Panini). Mit „Schwere See, mein Herz“ legt die umtriebige Olivia Vieweg die Geschichte um die 13-jährige Heidi vor, die sich vom Meer magisch angezogen fühlt und glaubt, in einen Seemann verliebt zu sein. Mit dem Teeniequatsch ihrer Freundin scheint sie jedenfalls nichts mehr zu verbinden. Leider fühlt sie sich mit ihren ungewöhnlichen Fantasien und ihrer schwindenden Zuneigung zu ihren alten Freundinnen zugleich permanent schuldig. Die große Verunsicherung spiegelt sich in wackeligen Zeichnungen und beengenden Perspektiven. Beruhigende oder Orientierung stiftende Totalen sind rar in dieser Geschichte (Suhrkamp).
Joe Sacco ist einer der bekanntesten Vertreter der Gattung der Comic-Reportage. Seit vielen Jahren bereist der Journalist Krisengebiete und hat bislang Comics zu Gaza, Palästina, Bosnien, dem Irak oder Indien veröffentlicht. Nun folgt eine Sammlung zum Krieg in „Sarajevo“. Wie immer stolpert Sacco durch die Wirren des Konflikts und macht keinen Hehl daraus, dass er nicht immer den Überblick hat. Die Metaebene ist stets eingebaut, die eigene Perspektive wird thematisiert. Und dennoch ergibt sich in den beiden kürzeren Geschichten aus den 90er Jahren und der längeren Story „Der Fixer“ von 2001, die der Band versammelt, ein intensives und erschütterndes Bild von dem Konflikt zwischen Serbien und Bosnien. Die überbordenden Zeichnungen sind durchdrungen vom Chaos der Kriegswirren. Die Absurditäten des Krieges erfasst Sacco ebenso wie dessen Tragik. Zynismus ist ihm hingegen gänzlich fremd (Edition Moderne).
Auch autobiografisch und journalistisch geprägt, aber mit mehr Anteilen künstlerischer Freiheit erzählt Nicolas Wild in „Also schwieg Zarathustra“ von einer Reise in den Iran. In Paris lernt er die iranische Architektin Sophie kennen. Ihr Vater wurde in Genf umgebracht. Nun will sie mit ein paar Freunden in den Iran reisen, um das Vermächtnis des Vaters – ein großes Kulturzentrum – einzuweihen. Nicolas Wild schließt sich ihnen an und erlebt ein Iran der Intellektuellen und der Kultur, lernt aber auch das Alltagsleben auf der Straße und schließlich die uralte Religion des Zoroastrismus kennen. Leichtfüßig berichtet Wild von einem uns nur wenig bekannten Land und dringt in Zeitsprüngen auch in dessen Geschichte ein (Egmont).
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