Naima Hamid (wundervoll: Nilam Farooq) zieht den Missmut ihres Professors Pohl (gewohnt bissig: Christoph Maria Herbst) auf sich, als die Erstsemesterin verspätet im Vorlesungssaal erscheint. Eine rassistische Hasstirade bricht über die Muslimin herein, die von anderen Studenten mitgefilmt und im Internet verbreitet wird. Um das bevorstehende Disziplinarverfahren gegen den Dozenten abzumildern, soll dieser Naima für einen Debattierwettbewerb coachen und der Universität dadurch zu mehr Renommee verhelfen. Widerwillig müssen sich die beiden gegensätzlichen Menschen nun aufeinander einlassen. Das Grundgerüst von Sönke Wortmanns „Contra“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Residenz, Rex am Ring, UCI, Weisshaus) ist das eines Buddy-Movies, bei dem scheinbar unvereinbare Charaktere miteinander zurechtkommen müssen. Doch der Film bietet darüber hinaus noch weit mehr, denn die hier angesprochene Thematik der rassistischen Vorurteile, mit denen Menschen mit Migrationshintergrund oftmals abgestempelt werden, noch bevor man die dahinterstehende Person kennengelernt hat, ist nach wie vor brandaktuell. Und die Tatsache, dass es in „Contra“ um die Kunst der brillanten Rhetorik geht, verleiht dem Film weitere spannende Aspekte. Exzellente Rededuelle und Schlagabtausche reihen sich aneinander, so dass das Zusehen zu einer einzigen intellektuellen Freude wird. Die Figuren sind vielschichtig gezeichnet, und selbst der von Anfang an als kleinkariertes Arschloch eingeführte Universitätsprofessor wird in Christoph Maria Herbsts glaubwürdiger Interpretation am Ende zu einem differenzierten Charakter.
Eine Kleinstadt in Oregon, die Kohlenmine wurde stillgelegt, das Industriegelände rottet vor sich hin, die Menschen stehen vorm Sozialamt Schlange. Die Lehrerin Julia Meadows (Keri Russell) ist vor kurzem hierher zurückgekehrt und wohnt bei ihrem Bruder, dem Polizisten Paul (Jesse Plemons). In der Schule engagiert sie sich für Lucas, der mit seinem jüngeren Bruder beim Vater wohnt, verstörende Zeichnungen anfertigt und von den anderen gehänselt wird. Als grausame Morde geschehen, mündet die Spur entlang einer indigenen Legende im Haus des Jungen. Es ist eine Wohltat, einen Horrorfilm mal wieder fernab unzähliger Jumpscares zu durchleben. Abgesehen vom finalen Kapitel, in dem es arg martialisch und vergleichbar plump zugeht, setzt Regisseur Scott Cooper („Feinde – Hostiles“) in „Antlers“ (Cineplex, UCI) vor allem auf latent wachsenden, atmosphärischen Grusel, der ausschließlich (!) in Nacht und/oder Nebel angelegt ist. Auch wenn es dabei mal deftig zur Sache geht, dominiert die grundsubtile Spannung. Ein erfreuliches Genredrama, coproduziert von Guillermo del Toro („Shape of Water“).
30 Jahre Brings – da muss natürlich ein Jubiläumsfilm her! Und der macht Spaß: Flankiert von Archivmaterial und Weggefährten wie Zeltinger und Kebekus begleiten uns die Bandmitglieder in „Brings – Nix för lau“ (Cinedom, Odeon, UCI, Weisshaus) gut aufgelegt durch ihre Karriere. Von den ersten musikalischen Gehversuchen in schlechtem Englisch hin zur Selbstfindung: der Offenlegung der eigenen, der kölschen Seele. Dann der Erfolg, der Plattenvertrag, das Koks, das Scheitern, die Stagnation. Und die Rettung – durch den Karneval! Die Öffnung für Klassik und Florian Silbereisen. Vermeintlicher Verrat, und am Ende die Überzeugung, sich selbst und dem Rock’N’Roll bis heute treu geblieben zu sein. Herz, Haltung, Bruderliebe: Das alles ist so erzählenswert wie unterhaltsam. Und beschert uns Laune, Gänsehaut und Pipi in den Augen.
Gerade erst konnten wir in „Trans – I Got Life“ sieben Menschen kennenlernen, die sich in ihrem angeborenen Körper unwohl fühlten und sich zu unterschiedlichen Zeitpunkten in ihrem Leben für geschlechtsangleichende Operationen entschieden haben. Ähnliches gilt nun für die beiden Protagonistinnen im Dokumentarfilm „Zuhurs Töchter“ (OmU in der Filmpalette) von Laurentia Genske und Robin Humboldt. Schon in ihrem Heimatland Syrien hatten Lohan und Samar, damals noch unter ihren Geburtsnamen Mahmoud und Amar, deutlich gemacht, dass sie Frauen in Männerkörpern sind. Nach ihrer Flucht nach Deutschland begannen die beiden, sich immer offensiver als Frauen zu schminken und zu kleiden, und sich auf diese Weise auch immer mehr von ihren Eltern abzugrenzen. Lohan und Samar beobachten die Filmemacher über einen längeren Zeitraum hinweg, begleiten sie bei Gängen zu Ämtern, Arztbesuchen oder gar bei der großen Operation selbst.
Co-Regisseurin Laurentia Genske ist am Freitag, 29.10. um 19.30 Uhr zu Gast in der Filmpalette.
Außerdem neu in den Kinos: York-Fabian Raabes Einwanderergeschichte „Borga“ (Filmpalette), Rebecca Halls Romanverfilmung „Passing – Seitenwechsel“ (OmU im Odeon), Gen Iwamas Doku „Daido Moriyama – The Past Is Always New, The Future Is Always Nostalgic“ (OmU im Filmhaus), Axel Brüggemanns Doku „Wagner, Bayreuth und der Rest der Welt“ (Cinenova), Stephen Chboskys Seelendrama „Dear Evan Hansen“ (Cinedom, Cineplex, UCI, OV im Metropolis) und der Locksmith-Animationsspaß „Ron läuft schief“ (Cinedom, Cineplex, Metropolis, Rex am Ring, UCI).
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Die Hunger-Spiele
Die Filmstarts der Woche
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24
Show halt
Die Sache mit dem Oscar – Vorspann 04/24
Das Theater der Zukunft
„Loop“ am Orangerie Theater – Prolog 04/24
Angst über Generationen
Teil 1: Leitartikel – Wie Weltgeschehen und Alltag unsere Sorgen prägen
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Flucht auf die Titanic
„Muttertier“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/24
Pure Lust an der Musik
Das Thomas Quasthoff Quartett im Konzerthaus Dortmund – Improvisierte Musik in NRW 03/24
Blickwechsel in der Musikgeschichte
Drei Spezialisten der Alten Musik in der Kölner Philharmonie – Klassik am Rhein 03/24
Stabiler Zusammenhalt
„Der Streitfall“ in der Stadtbibliothek – Spezial 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
Für die Verständigung
Stück für Gehörlose am CT – Theater am Rhein 03/24
„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24
Lebensfreunde wiederfinden
„Ich mach dich froh!“ von Corrinne Averiss und Isabelle Follath – Vorlesung 03/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Spiel mit den Elementen
Alexej Gerassimez & Friends im Konzerthaus Dortmund – Klassik an der Ruhr 03/24
Von Polen bis zu den Kapverden
Over the Border-Festival in Bonn – Musik 03/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24
Grund des Vergessens: Rassismus
Oper von Joseph Bologne am Aalto-Theater Essen – Oper in NRW 03/24
Leistung ist nicht alles
Teil 1: Lokale Initiativen – Initiative an der Deutschen Sporthochschule fördert psychische Gesundheit
Lesarten des Körpers
„Blueprint“ in der Außenspielstätte der Tanzfaktur – Prolog 03/24
Märchenspiegel 2.0
Vom Streben nach konformer Schönheit in feministischen Zeiten – Glosse