Die Grundlage für Hans Steinbichlers („Das Tagebuch der Anne Frank“) neuen Film „Ein ganzes Leben“ (Cinenova, Odeon, Residenz, Rex, Weisshaus) bildet der gleichnamige Roman von Robert Seethaler, der im Jahr 2014 erschien. Als Andreas Egger (Ivan Gustafik) auf den Hof eines entfernten Verwandten kommt, ist er dort eher geduldet als erwünscht. Nach dem Tod seiner Stiefbrüder bleibt ihm als einzigem männlichen Nachkommen (jetzt Stefan Gorski) erspart, als Soldat in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. Aufgrund der körperlichen Züchtigungen seines Stiefvaters ist er ein Krüppel, der sich aber dennoch unbeirrt und mit schwerer Arbeit seinen Weg im Leben erkämpft und schließlich zu einer angesehenen Person im aufstrebenden Bergdorf wird. In Marie (Julia Franz Richter) findet Andreas seine große Liebe, doch ein glückliches und sorgloses Leben ist ihm auch nach der Hochzeit mit ihr nicht vergönnt. Hans Steinbichler hat „Ein ganzes Leben“ auf sehr visuelle Weise in Szene gesetzt und das beeindruckende Gebirgspanorama in Südtirol für atemberaubende Bilder genutzt. Insbesondere in der ersten Filmhälfte sind die Dialoge auf ein Minimum reduziert, da die Hauptfigur äußerst wortkarg ist. In solchen Momenten kann man kaum glauben, dass der Film auf einer literarischen Vorlage basiert. Andererseits ist es den Filmemachern auf ganz hervorragende Weise geglückt, die Atmosphäre des entbehrungsreichen und körperlich anstrengenden Lebens in der Bergwelt des frühen 20. Jahrhunderts sehr präzise und überzeugend einzufangen. In manchen Momenten kann man auch als Zuschauer die körperlichen Anstrengungen des Protagonisten quasi physisch spüren, insbesondere in der packend inszenierten Szene nach einem folgenschweren Lawinenunglück. Dass der Funke auf das Publikum auf diese Weise überspringt, liegt nicht zuletzt an Stefan Gorskis sehr körperbetonter und intensiver Darstellung, die am Ende nach der Übernahme der Rolle durch August Zirner ebenso überzeugend zum Abschluss gebracht wird.
Stefan Gorski und Hans Steinbichler sind am Freitag, 8.11. um 18 Uhr zu Gast im Odeon.
Das Leben endet mit dem Tod, doch bis es so weit ist, muss gefeiert werden. So versammelt sich die Familie des schwerkranken Tona (Mateo Garcia Elizondo), um seinen Geburtstag zu feiern, obwohl dem Geburtstagskind nicht zum Feiern zumute ist. Von seinem Krankenzimmer aus kriegt er die hektischen Vorbereitungen seiner Schwestern nur am Rande mit, während seine kleine Tochter Sol (Naíma Sentiés) alles mit Neugier und offenem Blick beobachtet. Warum darf sie nicht zu ihrem Papa? Warum muss er so viel schlafen? Überwiegend aus Sols Perspektive erzählt Lisa Avilés in „Tótem“ (OmU in der Filmpalette, im OFF Broadway und in der Bonner Kinemathek) die Geschichte einer Familie, in der trotz aller Herausforderungen die Liebe zueinander für Zusammenhalt sorgt, während der Tod immer näher rückt.
Nach der Machtübernahme durch die Taliban kann sich die 20-jährige Afghanin Donya gerade noch in die USA absetzen. Sie landet in dem Ort „Fremont“ bei San Franzisco. Dort wohnt sie neben anderen Flüchtlingen in einem Appartementkomplex. Tagsüber arbeitet sie in einem chinesischen Gebäckladen und verfasst Texte für Glückskekssprüche. Getrübt von Schuldgefühl und getrennt von ihrer Familie in der Heimat, wirkt Donya verloren und emotionslos, nachts findet sie keinen Schlaf. Der Besuch bei einem Psychologen bringt neue Anstöße. Der iranische Regisseur Babak Jalali und seine Kamerafrau Laura Valladao folgen ihrer Protagonistin ganz nah und stimmungsvoll durch die Stationen ihres Alltags. Die kleinen Szenarien, der verschrobene Humor, die kraftvolle Ruhe, die verstockte Kommunikation, die einsame, suchende Heldin – der Film trägt im besten Sinne die Handschrift von Jim Jarmusch. Darüber hinaus versprüht Anaita Wali Zada in der Hauptrolle ganz umwerfend die Emotion einer Migration. Ein wundervolles, kleines lakonisches Drama in Schwarzweiß, durchzogen mit poetischer Tragikomik, Sehnsucht und Optimismus.
Außerdem neu in den Kinos: Christina Ebelts außergewöhnliches Frauendrama „Monster im Kopf“ (Filmpalette, Lichtspiele Kalk), Suzanne Raess Kuratoren-Doku „Vermeer - Reise ins Licht“ (Cinenova, Odeon, OmU im Weisshaus), Pia Lenz' Ehe-Portrait „Für immer“ (Cinenova), Saim Sadiqs Selbstfindungsdrama „Joyland“ (Rex), Radek Wegrzyns Doku „Miss Holocaust Survivor“, Birgit Möllers Liebeskomödie „Franky Five Star“ und Mara Eibl-Eibesfeldts Kinderabenteuer „Thabo - Das Nashorn-Abenteuer“ (Cinenova, Metropolis, Rex). Bereits am Mittwoch starten Nia DaCostas Superheldinnen-Trio „The Marvels“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, Rex, UCI, OmU im Metropolis, OV im Cineplex, Metropolis und Rex) und Alejandro Monteverdes aufgrund seiner Vermarktungsstrategie hitzig diskutierter Thriller „Sound of Freedom“ (Cinedom, UCI).
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