Ralf König ist ein Pionier der deutschen Graphic Novel. Obwohl oder vielleicht gerade weil er unter dem Etikett nur selten aufgeführt wird. Denn als er Ende der 80er Jahre „Der bewegte Mann“ oder „Kondom des Grauens“ veröffentlicht hat, war im deutschsprachigen Raum von Graphic Novels noch nicht die Rede. Sein neuer Comic „Pornstory“ widmet sich wieder mal dem Thema Sex auf Knollennasen-Ebene. Das halbe Leben von Eberhard findet bei König auf 150 Seiten Platz, und das auch noch elegant erzählt: vom Entdecken der väterlichen Pornosammlung auf Super 8 über die studentische Hingabe an VHS-Pornos, dem heimlichen Genuss auf DVD als Familienvater bis hin zur nächsten Generation, wenn der eigene Sohn Pornos guckt – inzwischen per Stream. König erzählt von Perversionen, Moralpredigten, Verklemmtheiten und Heimlichtuereien in so kluger wie unterhaltsamer Form. Besonderer Clou: Die pornografischen Elemente kommen vom minimalistischen Kollegen Nicolas Mahler (Rowohlt).
Tobi Dahmen schreitet durch eine Jugend der Subkulturen, die es heute so wahrscheinlich nicht mehr gibt. Mit „Fahrradmod“ erzählt er, wie er in den 80er Jahren als Teenager vom Außenseiter zur selbstbestimmten Minderheit wird, weil er sich einer Jugendkultur anschließt. Dahmen erzählt nicht nur von seiner Faszination für britische Jugendkulturen – vom Mod über den Skinhead und den Rudeboy zum Soulboy – und den Parties und Krawallen in seiner Heimatstadt – er reflektiert auch die Anziehungskraft und die Schattenseiten der Gemeinschaften, fragt, was man in ihnen sucht, was man in ihnen findet und was man in ihnen vermisst. Euphorie und Melancholie halten sich in dieser epischen Coming-of-Age-Story die Waage (Carlsen). In seinem Debütalbum „Wie zerknülltes Papier“ erzählt der Spanier Nadar raffiniert verschachtelt von einigen Menschen in einer mittelgroßen Stadt: Der Teenager Javi hat die Schule geschmissen und verdient Geld damit, andere Jungs einzuschüchtern oder Schulden einzutreiben. Jorge ist neu in der Stadt: Der alleinstehende, wortkarge Mann wohnt in einer Pension und arbeitet in einer Schreinerei. Als sich die Besitzerin der Pension in sie verliebt, lässt er sich vage auf eine Verbindung ein. Und als Javis Mutter von den Umtrieben ihres Sohns erfährt, will jener zurück zur Schule. Doch einem Happy End steht die Vergangenheit im Weg, die die beiden männlichen Protagonisten geheimnisvoll miteinander verbindet. Nadar vermittelt die innere Welt der verschlossenen Hauptfiguren souverän.Und er weiß, die Spannung langsam zu steigern – von der Alltagsbeobachtung bis zum überraschenden Finale (Avant Verlag).
In „Éloi“ erzählen Younn Locard und Florent Grouazel von einer Schiffreise Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit an Bord ist Éloi aus Neukaledonien, den der Wissenschaftler Pierre mit nach Frankreich nehmen will. Locard und Grouazel erzählen mit aufklärerischem Ton, wie Wissenschaft, Religion und der Staat mit dem Fremden umgehen beziehungsweise ihre Interessen verknüpfen. In aufwendigen Schwarzweiss-Zeichnungen und mit Spannung erzählen die Autoren ihre parabelhafte Abenteuergeschichte über koloniales Gedankengut (Avant Verlag). Und zuletzt ein Termin: Am 7.11. findet in der Mülheimer Stadthalle in Köln die 78. Internationale Comicmesse „Intercomic“ satt. Die Messe bietet Gelegenheit, durch aktuelle und antiquarische Comics zu stöbern und den ein oder anderen Zeichner live zu erleben.
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