Vernon Saul beobachtet, wie ein Kind ertrinkt. Der Ex-Cop arbeitet für einen Sicherheitsdienst und sieht, wie die kleine Sunny beim Versuch, ein Spielzeug aus dem Wasser zu fischen, ins Meer stürzt. Ihr Vater Nick Exlay, ein wohlhabender amerikanischer Web-Designer, erholt sich gerade bei einem Joint mit einem Freund von Sunnys Geburtstagsparty. Auch Caroline, die Mutter, fühlt sich groggy, sie steht in der Küche der modernen Villa und hat Sunny nach draußen geschickt, während sie in Gedanken bei ihrem Liebhaber war, der ein paar Häuser weiter im Nobelvorort von Kapstadt lebt.
„Stiller Tod“, so lautet der Titel des neuen Romans von Roger Smith, dem Regisseur und Drehbuchautor aus Kapstadt. Aber der Stille folgt bald ein Hurrikan der Gewalt. Vernon Saul eilt dem Kind nicht zur Hilfe, was er hätte tun können. Erst einmal abwarten, denkt er, denn ihn interessiert allein, wie er Macht über andere erlangen kann. Die schöne Striptease-Tänzerin Dawn etwa, die stets in der Angst lebt, dass ihr das Jugendamt ihre kleine Tochter abnehmen könnte, hält Vernon eisern in seinem Griff. Nun versucht er, den reichen Nick Exley in ein Abhängigkeitsverhältnis zu bekommen. Nick ist jedoch unberechenbar, ebenso wie die Polizei, die Vernon im Visier hat.
Während man der Story von Roger Smith folgt, nimmt das Tempo zu. Nach einem gemächlichen Beginn, bei dem die Karten für das Personal des Romans klug ausgeteilt werden, bringen Zorn, Gewalt und Angst die Handlung auf Touren. Man wechselt beim Lesen schnell von einem Kapitel zum nächsten, an Aufhören ist bald nicht mehr zu denken, und schließlich fliegt man nur so über die Seiten, um zu erfahren, wie die Geschichte ausgeht, in der alles zu jeder Zeit möglich erscheint. Roger Smith ist kein Geheimtipp mehr, er begeisterte sein deutsches Publikum schon mit dem Thriller „Staubige Hölle“ und gewann den Deutschen Krimipreis. Auch wenn die Verstrebungen seiner Konstruktion mitunter sichtbar werden und die Handlung an einzelnen Stellen mehr Haken schlägt als nötig, so vermag der Roman doch, mit seinen Figuren in Bann zu schlagen. Smith kombiniert Routine überzeugend mit scharfer Beobachtungsgabe. Gleich die Eröffnungssequenz besitzt den Realismus glasklarer Filmbilder. Gewalt setzt immer kurz und unvermittelt ein, und Sex flammt dort auf, wo Beziehungen ihren Prägestempel erhalten.
Smith vermag mit Details umzugehen, seine Beobachtungen der Kinder gehen unter die Haut; sie wirken so real, dass sich sofort Beschützerinstinkte einstellen, und damit ist dann auch die Spannung entzündet, die dem Roman Speed verleiht. Er präsentiert uns ein Bild von Südafrika, das nur vereinzelte Flecken bürgerlichen Wohlstands in einer ansonsten allumfassenden Hölle sozialer Not zeigt. Diese dunkle, unbarmherzige Seite, einer Gesellschaft, in der jeder jeden für ein paar Münzen über die Klinge springen lässt, schmerzt auch deshalb, weil Smith mit den Kindern und den Frauen diejenigen im Auge behält, die der Gewalt auf besondere Weise ausgeliefert sind. So entwickelt sich ein harter, sinnlicher Roman, der lange nachklingt.
Roger Smith: Stiller Tod | Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmerman | Tropen bei Klett-Cotta | 380 S., 19,95 €
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