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Das altmodische Genie

30. August 2012

Lutz Görner zeigt, wie man die Angst vor großer Kunst in Lust verwandelt – Textwelten 09/12

Warum sollte man zu einer Veranstaltung gehen, bei der jemand einfach aus einem Buch vorliest? Eine Frage, die heute niemand mehr stellt, kommen doch alleine in Köln innerhalb von zehn Tagen rund 80.000 Menschen zu den Veranstaltungen der lit.Cologne. Dort gibt es Lesungen von Autoren und Schauspielern, zweifellos fast immer interessante Veranstaltungen. Aber was man dort nicht bekommt, ist Bildung. Man muss sie schon selbst mitbringen, um den gelesenen Text einordnen zu können in das Gefüge historischer oder literarischer Zusammenhänge. Wer möchte sich jedoch am Abend mit Fragen nach der Aktualität von Goethe, Schiller, Heine oder Charles Bukowski befassen?

Dennoch gibt es jemanden, der das alles leistet, der eine Stimme für die Zwischentöne des Textes besitzt, der uns Lust macht auf das „Wintermärchen“ oder die späten Gedichte eines Johann Wolfgang von Goethe. Lutz Görner hat das Handwerk des Rezitators mit einer Virtuosität entwickelt, die weit über das hinausreicht, was man von einem Spezialisten der Lesekunst erwarten kann. Das, was vielen Lehrern und Professoren an der Uni nicht gelingt und von Autoren und Schauspielern nicht geleistet wird, demonstriert er mit spielerischer Gelassenheit: Texte verständlich erscheinen zu lassen, sie kulinarisch zu präsentieren, indem man ein Ohr für ihre Feinheiten, ihre Bilder und ihren Gehalt gewinnt. Der Königsweg zu den Texten eines Autors bildet dabei zumeist die Beschäftigung mit seinem Leben, seinem Schicksal, das ihn zu einem Melancholiker, Krakeeler oder Frühvollendeten macht.

Nun feiert Görner sein 50jähriges Bühnenjubiläum unter dem Titel „Das Festival“. 120 Auftritte in Deutschland, viele davon in NRW. „Ich könnte alleine von NRW leben, das hängt mit den Menschen zusammen, die sind irgendwie toleranter als anderswo“, erklärt er. Von Münster über Dortmund, Bochum, Mülheim an der Ruhr, Duisburg, Düsseldorf, Aachen, Bonn und dann alleine vier Wochen in Köln präsentiert er die „fünf Falten meiner Seele“, wie er sagt. Gemeint sind fünf Programme, die jeweils einen prägnanten literarischen Akzent setzen. Politische Töne kommen in „Heine: Deutschland ein Wintermärchen“ zum Ausdruck. In „Goethe liebt“ rückt er dem literarischen Übervater auf den Pelz und erklärt, dass Goethe nur zweimal „wirklich“ verliebt war, einmal mit Händchenhalten und einmal mit allen Schikanen zwischen den Daunen. Das dritte Lyrik-Programm „Ich lache nie!“ bietet geballte Komik von Morgenstern, Ringelnatz und Tucholsky.


So unbekannt, wie den Deutschen ihre Literatur ist, so wenig wissen sie über ihre Musik. Eine Vermutung, der Görner auf die Spur kam, als er vor einigen Jahren sein Erfolgsrezept auf die Ahnengalerie der großen Komponisten ausweitete. Wenn er aus dem profunden Reservoir seines Wissens ein Porträt zu entwerfen beginnt, dann entsteht das Bild eines Menschen mit allen dazugehörigen Absonderlichkeiten, Verletzungen und Talenten. Der Witz und die scharfen Konturen, mit denen der inzwischen 68-Jährige die Lebensbilder von Mozart, Bach und Liszt entwirft, schreiben sich in der Erinnerung ein. Was man mit Freude entdeckt, das vergisst man halt nie wieder, und man vermag es mit anderem zu vergleichen, weil man sich ja ein Bild von den Kostbarkeiten der Literatur oder der Musik hat machen können. So bietet Görner mit „Chopin!“ ein viertes Programm, bei dem ihn die Pianistin Elena Nesterenko begleitet. Sie ist auch dabei, wenn es darum geht, die Neugierde der Jüngsten auf die Schätze der Literatur zu entfachen, und so bieten die „Balladen für Kinder“ vom „Spatzensalat“ bis zum „Himmelsklöße-Spiel“ etliche lyrische Kostbarkeiten, die jedem zugänglich sind. Denn das, was heute jeder möchte – anstrengungslos Zugang in die Hallen der großen Literatur zu finden – das liefert Görner mit einer aus der Mode gekommenen Leidenschaft, die gleichwohl immer noch mitzureißen vermag.

Informationen zu Orten, Zeiten und Programmen unter www.lutzgoerner.de

Thomas Linden

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