Im Schatten der rheinischen Foto-Stars Gursky, Höfer, Ruff und Struth hat das Werk des etwas jüngeren Boris Becker erst nach und nach an Aufmerksamkeit gewonnen. Im vergangenen Jahr wurde er mit dem Kunstpreis der Künstler der Großen Kunstausstellung NRW ausgezeichnet, und ausgestellt waren dazu im Düsseldorfer Kunstpalast seine ganz frühen Aufnahmen. Mit dem Wissen um diese Anfänge und den sachlichen Stil der Akademieklasse von Bernd Becher, bei dem die genannten Fotografen studiert haben, ist der Zugang zu Beckers aktueller Schau schnell hergestellt. Die Photographische Sammlung zeigt die Werkgruppe „Bunker“, die Becker zwischen 1984 und 1990 in 45 westdeutschen Städten überwiegend in Schwarz-Weiß aufgenommen hat.
Boris Becker, der 1961 in Köln geboren wurde, hatte zunächst an der Hochschule der Künste in Berlin Film und Fotografie studiert und war 1984 in die Fotoklasse der Düsseldorfer Kunstakademie gewechselt. Da hatte er bereits die Schutzbauten im urbanen Geschehen als fotografisches Motiv entdeckt. Im Zentrum seines Interesses stehen Hochbunker, die, entworfen von anonymen Architekten, im Zweiten Weltkrieg für den Zivilschutz gebaut wurden. Vorbereitet hat Becker die Serie durch eine ausgiebige Recherche und Korrespondenz mit den Stadtbauämtern, die nun in Vitrinen aufgefächert wird. Mit ihrer wechselnden Zusammenfassung zu Bildblöcken, linearen Sequenzen und mit größeren Einzelbildern lässt die Ausstellung erkennen, wie Becker über die Jahre nach Verfahren der Systematik gesucht hat, Zusammenhänge herstellt und dazu mitunter die Perspektive gewechselt hat. Teils fängt er die urbane Umgebung ein oder fokussiert im Gegenteil Reliefs auf den Mauern. Gerade im Schwarz-Weiß schildert er die Patina der Architekturen zwischen rau abweisender Betonfläche und abbröckelndem Mauerwerk; Aspekte wie der Charakter als Hülle und die Bewusstwerdung vom Überleben im Inneren gehen mit dem sachlichen Erfassen und ästhetischem Übersetzen beim Fotografieren einher. Damals schon ging Becker nicht aus dem Kopf, dass diese Architekturen andere Gebäudetypen vortäuschen, mit denen sie sich gegenüber den Luftangriffen getarnt haben. Einzelne der Bunker scheinen Kirchen, Scheunen, Wohn- oder Geschäftshäuser zu sein. Teils wurden sie nach dem Krieg aber anderen Funktionen zugeführt.
Von daher sind seine „Hochbunker“ nicht einfach eine archivierende, typologisch vergleichende Auflistung, sondern sie befragen das Verhältnis von Sein und verschleierndem Schein im Stadtbild – eine für das dokumentarische Medium der Fotografie fundamentale Frage nach Form und Inhalt. Später hat Becker übrigens die Werkgruppe „Fakes“ (1999-2002) geschaffen, bei der er auf großformatigen Farbaufnahmen isoliert Gegenstände zeigt, die als Produktfälschung oder Transportmittel z.B. für Drogen vom Zoll konfisziert wurden und nun auch das Wahrheitsversprechen der Fotografie unterlaufen. In der umfangreichen Ausstellung in der Photographischen Sammlung hängen einzelne dieser „Fakes“ zwischen den „Bunkern“ und liefern so noch Hinweise darauf, wie es mit der Fotografie von Boris Becker weitergegangen ist. Spannend!
Boris Becker – Hochbunker | bis 9.2. | Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur | 0221 88 89 53 00
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