In seinem neuen Buch „La Casa“ verarbeitet der Spanier Paco Roca Autobiografisches: Als der Vater stirbt, treffen sich die Geschwister José, Carla und Vincente im verlassenen Ferienhaus der Familie, um es für den Verkauf zu renovieren. Während sie und ihre Familien werkeln, keimen alte Konflikte auf, werden aber auch gute Erinnerungen an das Familienleben und den Vater geweckt. Roca wechselt mit seinen schönen, klaren Zeichnungen elegant zwischen den Zeitebenen und Erzählperspektiven und entfaltet eine melancholische Stimmung, die trotz der Konflikte einen versöhnlichen Ton enthält (Reprodukt). Vom Spanien der Gegenwart ins Spanien des Faschismus: Auch Katrin Bacher widmet sich der Familiengeschichte, allerdings der ihrer Ahnen. Ihre „Tante Wussi“ erzählt die ungewöhnliche Geschichte ihrer Familie, die in den 30er Jahren nach Mallorca auswandert, dort ab 1936 wegen der jüdischen Wurzeln der Mutter Schwierigkeiten mit dem Franco-Regime bekommt und ausgerechnet zurück nach Deutschland flieht, wo die Familie in alle Winde verstreut wird. Eine spannende und berührende Geschichte, die Tyto Alba in atmosphärischen Aquarellzeichnungen illustriert. Die Einbettung in eine Rahmenhandlung aus der Gegenwart ist allerdings arg holprig geraten und eigentlich auch überflüssig (Carlsen).
Vom Zweiten Weltkrieg in den Ersten Weltkrieg: „Insel der Frauen“ ist die Geschichte eines sehr ungewöhnlichen Kriegsgewinnlers. Als die Mobilmachung bekanntgegeben wird, müssen auf einer bretonischen Insel alle Männer zwischen 20 und 50 in den Krieg. Nur Maël, der einen Klumpfuß hat, darf bleiben. Er soll den Postboten ersetzen. Von nun an ist er die einzige männliche Bezugsperson der Frauen und schnell Nutznießer der Situation. Dass ihm das so gut gelingt, liegt auch daran, dass er die Post der Frauen öffnet und so ihre geheimsten Wünsche kennenlernt. Didier Quella-Guyots ungewöhnliche Geschichte hat Sébastien Morice in weichen, strahlenden Zeichnungen als lustvollen Traum eines einst geschmähten und nun unvermittelt begehrten jungen Mannes umgesetzt. Die Ambivalenz der Hauptfigur verunsichert und eingestreute Bildern von den Schlachtfeldern irritieren zusätzlich. Bemerkenswert ist der Comic außerdem wegen einiger Plotpoints (Splitter).
Nadine Redlich hat sich mit ihren „Ambient Comics“ – Strips aus je sechs Panels, die eine herabbrennende Kerze oder einen vorbeifahrenden Zug zeigen – einen ganz eigenen Zeitzugriff erarbeitet. Mit „Paniktotem“ kommt Gefühl hinzu: In ihrer Begrenztheit teils tragische, teils glückliche Wesen hadern oder arrangieren sich mit ihrem Dasein. Steine, Hunde, Kartoffeln, Bohnen tauchen in Redlichs buntem Figurenarsenal auf (Rotopol). Was kann uns Pierre Sterckxs Band „Tim und Struppi. Die Meisterwerke von Hergé“ nach „Auf den Spuren von Tim & Struppi“ und „Tim & Co“ des Hergé-Experten Michael Farr noch bieten? Farr hat sich sowohl mit Hergés Biografie und seinen Werken als auch seinem Figurenarsenal ausgiebig auseinandergesetzt. Sterckx klappert auch dies (vielleicht etwas zu lang) ab, legt seinen Schwerpunkt aber auf Hergés Verhältnis zur Kunstwelt – als Liebhaber und Sammler sowie als Maler und Grafiker. Und er spürt dem Einfluss der Bildenden Kunst in seinen Comics nach. Das ist ein interessantes Spannungsfeld und mit dem Band toll bebildert (Carlsen).
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