Neben den drei Musikbühnen ziert zum dritten Mal die trailer-Wortschatzbühne die Passage entlang der Viktoriastraße zwischen der WAZ-Bühne und der Marienkirche. Hier ist es etwas leiser, mit weniger Lichteffekten, dafür aber reichlich Ausdrucksstärke. Wenn die Musik auf den großen Bühnen verstummt, fallen hier die ersten Silben der Wortkünstler.
An vier Tagen gaben 14 Künstler einen Einblick in ihre Werke. Die Autoren Ulli Engelbrecht, Thomas Sabottka, Jochen Rausch und Martell Beigang präsentierten Ausschnitte aus ihren Texten oder Romanen. Der Fußballkomiker Ben Redelings las Anekdoten vom Platz und legendäre Zitate, während Klaus „Hüpper“ Wagner, Gründungsmitglied der Freeway Rider, einem der ältesten Motorradclus Deutschlands, von seiner Zeit im Knast und den dort immer gleichen Gedanken berichtete.
Das Publikum zeigte sich erfreut, erstaunt oder belustigt. Highlights waren Matthias Reuter, Micha-El Goehre und „Der Obel“. Hier musste die Wortschatz-Bühne den größten Besucheranstürmen standhalten. Lediglich bei der Aktiv-Lesung von Uli Engelbrecht verließen viele fluchtartig die Bühne. Engelbrecht versuchte, die Zuschauer zu Fitness-Übungen zu animieren. Aber seine Präsentation war zum Glück ein Einzelfall.
Der Wildgans-Konflikt
Besonders in Erinnerung blieb die Lesung der Schementhemen. Myk Jung und Klaus Märkert waren bereits im zweiten Jahr in Folge auf der Wortschatz-Bühne. Ihrem klassischen Punk-Look blieben sie treu. Ihre Geschichten sind meist alltägliche Situationen, die sich skurril weiterentwickeln. „Mag jemand Möpse?“, fragt Märkert provozierend. „Also die Hunde… das geht in der Geschichte nämlich nicht gut aus für die.“ Der Plan, um 10 Uhr schnell eine Runde mit dem Hund spazieren zu gehen, wird bei der Schementhemen-Story für einen Hundebesitzer genauso schnell zum handfesten Problem: Sein Hund reißt eine zu tief fliegende Wildgans. Prompt folgt die Anfeindung eines Walkers, der gerade seine Meter macht. Es entbrennt ein Streit über das gebissene Tier, der in peinlichen Euthanasieversuchen endet. Die Schementhemen bleiben ihrer düsteren Tonart des Humors treu.
Wortwitz mit instrumentaler Hilfe
Aber auch musikalischer Wortwitz fand großen Anklang. Andreas Bittl, Teil des Ensembles des Schauspielhauses Bochum und Schauspieler des Rottstr5 Theaters, sang diesmal und begleitete sich selbst am Akkordeon. Statt mit seinem Markenzeichen, dem Wiener Akzent, das Publikum in Stimmung zu versetzten, wagte sich der Münchener an die Bochum-Hymne Grönemeyers. Leider überzeugte dieses couragierte Experiment weniger.
Überschwänglich und heiter intonierte Klavier-Kabarettist Matthias Reuter Kurzgeschichten mit seinem E-Piano. Dabei erzählte er auch von dem Chaos, das die Kinder – nicht die Eltern! – an Kindergeburtstagen erleben müssen. Während sich der Opa an der Carrera-Bahn vergnügt und das Geburtstagkind eindringlich zum Mitspielen animiert, ist dieses vom ganzen Drumherum sichtlich genervt. Nur zu gut erinnerten derartige Schilderungen an eigene Kindertage.
Die dem Satan huldigen
Vom Kindergeburtstag ein Sprung in die Männerwelt: Poetry Slammer Micha-El Goehre fasziniert mit seinen Bekundungen über Black Metal, nach ihm zweifelsohne: „Die beste Musik vonne Welt“. Black Metal, ein Subgenre von Heavy Metal, besticht durch die besondere Härte der Musik, die Zuhörerschaft durch das Ausüben satanischer Rituale. Daraus resultiere gesteigerte Männlichkeit.
Zum Zeitvertreib hängt der Metaller mit seinen Freunden auf Friedhöfen herum, wo sie Gräber besudeln oder Grabsteine umschmeißen. Als neusten Einfall besucht die Clique ein Krankenhaus: „Wenn wir uns schon immer auf Friedhöfen ‘rumtreiben, warum sollen wir uns nicht auch mal einen Zulieferbetrieb ansehen?“. Hier kommen die satanischen Zöglinge voll auf ihre Kosten. Sie drehen die Kreuze in den Zimmern „richtig herum“ und vergnügen sich in der Leichenhalle, bis eine Krankenschwester sie des Hospitals verweist. Als Gegenwehr bluten sie vor dem Krankenhaus ihre Namen in den Schnee, schließlich sind sie „true“.
Genauso true wie die Clique aus Goehres Text waren auch die zuhörenden Metal-Fans aus der ersten Reihe. Lautstark machten sie sich an passenden Textstellen durch Jubel und Teufelsgruß bemerkbar. Der Autor zeigte sich sichtlich erfreut über die aktive Zuhörerschaft.
Ozzy in the Rain
Im Gegensatz zum dem bei Andreas Oberings Auftritt. Am Sonntag poltert der besser unter dem Namen „Der Obel“ bekannte Kabarettist mit lockeren Sprüchen und platten Gags in typischer Ruhrpott-Manier. Er immitiert Ozzy Osbourne und scheut nicht davor zurück, bei Dauernieseln ins Publikum zu laufen. Dabei wurde die bedenkliche Qualität der Texte mit seinem Auftreten als Rampensau einigermaßen wett gemacht. Wie die meisten Künstler zählt auch "Der Obel" zu der Auswahl von BosKop, dem Kulturbüro des Akademischen Förderungswerkes.
Auch im 26 Jahr verlief Bochum Total friedlich konfliktfrei. Die positive Bilanz des Veranstalters Cooltour hat sich auch auf der trailer-Wortschatz-Bühne bestätigt. Die Besucher bekamen ein vielfältiges Programm von verrückten Wortakrobaten bis musikalisch veranlagten Kabarettisten geboten. Neben den lauten Bühnen, abseits des Trubels, bleibt die Wortschatz-Bühne eine Oase der stilleren Unterhaltungskultur.
Vom Winde verweht
Von Stille und Kultur zeugen auch die immer wieder aufsteigenden Luftballons , die die Kunde der trailer-Wortschatz-Bühne in die Lande tragen. Mit den an den Ballons hängenden Karten werden begeisterte Dichter aufgefordert, ihr Gedicht zum Thema Europa einzuschicken. Einsendungen kommen selbst aus dem 150km entfernten Paderborn. Aber auch vor Ort am Stand nahe der Bühne freute sich das engagierte Team über die spontan gedichteten Werke.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Starkregen im Dorf der Tiere
„Der Tag, an dem der Sturm alles wegfegte“ von Sophie Moronval – Vorlesung 05/25
Im Fleischwolf des Kapitalismus
„Tiny House“ von Mario Wurmitzer – Literatur 05/25
Ein Meister des Taktgefühls
Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ – Textwelten 05/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
„Schon immer für alle offen“
Marie Foulis von der Schreibwerkstatt Köln über den Umzug der Lesereihe Mit anderen Worten – Interview 03/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Aufwändige Abschlüsse
Comics, die spannend Geschichten zu Ende bringen – ComicKultur 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Gespräch über die Liebe
„In einem Zug“ von Daniel Glattauer – Textwelten 01/25
Massenhaft Meisterschaft
Neue Comics von alten Hasen – ComicKultur 01/25
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24