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Michael Ondaatje
Foto: Michael Spalding

21 Tage auf hoher See

12. März 2012

Michael Ondaatjes Besuch in Köln

Mit einem Lächeln erklärt Michael Ondaatje, dass er ein neues Wort in den englischen Sprachgebrauch eingebracht habe. „Cat's Table“ heißt der neue Roman des Kanadiers, der seit dem Erscheinen seines Romans „Der englische Patient“ zu den Stars des internationalen Literaturbetriebs zählt. Seine deutsche Lektorin Anna Leube hatte ihn auf den Titel „Katzentisch“ gebracht, nachdem sie ihm einen ihrer Träume erzählt hatte. So erzählt es Ondaatje, der wieder einmal dem Ruf von Klaus Bittner folgte und in Köln las, nachdem er schon 1990 seinen großartigen Roman „In der Haut eines Löwen“ in der Buchhandlung Bittner vorgestellt hatte.

Der Katzentisch beschreibt genau die Perspektive, aus der sein 11-jähriger Erzähler das Treiben auf dem Ozeanriesen beobachtet, der ihn zu Beginn der fünfziger Jahre von Ceylon nach England bringt. „Der Katzentisch ist am weitesten entfernt vom Tisch des Kapitäns“ erklärt Ondaatje und die Untersicht des vertrauensvoll, aber unbestechlich beobachtenden Kindes markiert zunächst den Standpunkt des Erzählers. Ohne Begleitung ist der 11-jährige Michael auf das Schiff verfrachtet worden, aber er lernt schon bald zwei gleichaltrige Jungs kennen, mit denen er Abenteuer auf diesem schwimmenden Zauberberg erlebt. Aus Thomas Manns Meisterwerk hat Ondaatje nicht nur die Speisekarten abgeschrieben, wie er schmunzelnd zugibt, der „Zauberberg“ inspirierte auch die Porträtreihe des Romans. Michael erkundet kranke Millionäre, schöne Kusinen, arme Teufel und ein Verbrechen. Viele Jahre später schaut er mit seinem Erwachsenen-Ich noch einmal auf den dreiwöchigen Trip nach Europa zurück und vermag plötzlich die Zeichen zu lesen, deren Bedeutung ihm einstmals verborgen blieb.

Der 11-Jährige versteht jedoch mit dem Herzen, so dass sich Ondaatjes Roman letztlich als ein weises Buch darstellt, das hinter die Selbsttäuschungen schaut, in die seine Protagonisten verstrickt sind. Ondaatje selbst präsentierte seine wunderbar lebendige, sinnlich aufgeladene Prosa dem zahlreichen Publikum im Kölnischen Kunstverein mit eher glanzloser Stimme. Dafür ließ Moderator Denis Scheck keine Gelegenheit aus, dem Kanadier Informationen über Biografie und literarischen Geschmack zu entlocken. Josef Tratnik lieferte in der Deutschen Übersetzung von Melanie Walz genau jene Lichtpunkte, die der Autor verschluckte. Mit seinen Sätzen zieht Ondaatje seine Leser jedoch unweigerlich in die dramatischen Geschehnisse an Bord. Freiwillig löst man sich nicht von dieser Prosa. Deren geheimnisvoller Sog offenbarte sich an diesem Abend im Blick auf die verschachtelten Satzkonstruktionen, mit denen Ondaatje in langen Bögen, die wie Schiffstaue die Wahrheit Stück um Stück an Land ziehen, das Interesse für die Schicksale seiner Figuren spannt. Eine Technik, die so gut funktioniert, dass Ondaatje gesteht, manchmal Autobiographie und Fiktion nicht mehr auseinanderhalten zu können und sagt: „Man geht dann plötzlich den eigenen Geschichten auf den Leim“. Ein Autorenproblem, das den Lesern freilich reine Glücksmomente beschert.

Michael Ondaatje: Katzentisch. Deutsch von Melanie Walz. Carl Hanser Verlag, 302 S., 19,90 €

Thomas Linden

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