Das Haus liegt oberhalb des Meeres im Schatten einer großen Kiefer. Ein Traum von einem Ferienhaus in der Normandie, das sich Delphine und Denis leisten können. Er ist Geschäftsmann, sehr erfolgreich und lädt in jedem Sommer seine alten Freunde ein, mit denen er studiert hat. Wenn sie zum Teil auch eher erfolglos geblieben sind, so hat man sich doch nie aus den Augen verloren. „In diesem Sommer“ - so der Titel des neuen Romans von Véronique Olmi – ist alles etwas anders als sonst. Zum Beispiel das Wetter. Ausnahmsweise regnet es einmal nicht am 14. Juli, so dass man viel unternehmen kann an diesem Wochenende und doch scheint etwas nicht zu stimmen. Vielleicht liegt es ja auch an der Kiefer, von der jemand behauptet, dass sie krank sei und bald gefällt werden müsse. Ist das wahr, oder nur eine Wichtigtuerei? Es weht ein Wind aus Tschechows „Kirschgarten“ herüber. Muss man etwas tun oder kann alles beim Alten bleiben?
Das ist die Frage, die im Gebälk der Paarbeziehungen steckt und wie ein leise arbeitender Holzwurm das Geschehen unterminiert. Die schöne Delphine ist zwar die Hausherrin, aber sie und ihr Mann, der von den Frauen begehrt wird, ohne es selbst zu merken, haben sich schon so viele Verletzungen beigebracht, dass sie in einem beständigen Kleinkrieg leben. Jeder ist vom anderen nur noch enttäuscht und die Trennung scheint eine Frage der Zeit zu sein. Nicolas, der nach einem Unfall von einer Behinderung und noch mehr von aufflammenden Depressionen geplagt wird, kommt mit Marie, die rundlich wird. Was sie für die anderen attraktiv macht, während sie selbst darunter leidet. Ihr versiegen die Engagements, sie verdient zu wenig Geld. Ein zermürbender Zustand. Und Lola, die Journalistin, ehemalige Kriegsberichterstatterin, bringt in jedem Jahr einen anderen Liebhaber mit. Sie hat Sex, aber ob sich Samuel, ihr Neuer, dauerhaft an ihrer Seite wird halten können, bleibt unwahrscheinlich.
Es ist die Atmosphäre aus würziger Seeluft, normannischem Chic, einer Ahnung von Sex, bitteren Enttäuschungen und viel detaillierten Wissen um die Tücken, die das Leben als Paar für Männer und Frauen bereithält, die den Schmelz dieses Romans ausmachen. Véronique Olmi, hat schon in ihren Romanen „Nummer sechs“ und „Ein Mann eine Frau“ demonstriert, dass sei eine unverwechselbare Stimme besitzt, wenn es darum geht, die Kulissen zu bauen, in denen sich die Liebe ereignen kann. Bilder wie aus einem Film von Michel Deville entwirft sie. Das macht Spaß, man schmeckt sozusagen das Aroma des französischen Sommers auf der Zunge. Wie gut sie schreiben kann, zeigt sich in ihrer Fähigkeit, immer die Orientierung im Geflecht der zahlreichen Stimmen und Schicksale zu behalten, aus denen der Roman besteht. Sie arbeitet mit kurzen Kapiteln, verschnürt ihre Erzählfäden manchmal vielleicht etwas zu gründlich, um auf Pointen zu kommen, die der Roman gar nicht bräuchte. Gleichwohl ist es ein großes Vergnügen mit der Schar ihrer Feriengäste an die Küste der Normandie zu reisen und zu verfolgen, ob alle Paare so zurückkommen, wie sie einmal aufgebrochen sind.
Véronique Olmi: In diesem Sommer. Deutsch von Claudia Steinitz. Verlag Antje Kunstmann. 270 S., 18,95 €
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