Nach seinem „Der Winter des Zeichners“ veröffentlicht Reprodukt mit „Kopf in den Wolken“ Paco Rocas tragikomische Geschichte aus einem Altersheim. Als seine Aussetzer größer werden, wird Emilio von seinem Sohn ins Altersheim gebracht. Anscheinend wissen es schon alle außer ihm selbst: Emilio hat Alzheimer. Roca erzählt von Emilios langsamem Verschwinden. Dabei umgeht er mit gut gesetzten Pointen immer das große Drama, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas zu unterwandern. Eine gut ausbalancierte Geschichte, die mit ihren Ligne Claire-Zeichnungen auch bei der visuellen Umsetzung überzeugt. Chris Ware und viele andere schwören auf sie: Gabrielle Bell erzählt in ihrem semi-autobiografischen Blog „Lucky“ vom Alltag. „Die Voyeure“ ist eine inhaltlich vergleichbare Sammlung von aufwändig farbig gezeichneten Kurzgeschichten, in denen sie mit den Kleinigkeiten des Alltags kämpft, von Comicmessen und Nervenzusammenbrüchen erzählt, ihre Liaison mit Michel Gondry Revue passieren lässt oder einfach ihre Mitmenschen beobachtet. Unspektakulär, aber genau, und ganz im Sinne von Vorbildern wie Robert Crumb oder Julie Douchet immer leicht neurotisch (Metrolit). Zwischen 2003 und 2008 veröffentlichten Reinhard Kleist und Tobias O. Meissner ihre „Berlinoir“-Trilogie. Es ist eine actionreiche Politparabel im Fantasy-Kostüm: Berlin wird von Vampiren regiert, die die Menschen unterjochen. Ein heftiger Machtkampf entbrennt. Neben deutlichen Verweisen auf die frühe deutsche Filmgeschichte lauert an jeder Ecke eine Parabel auf das Berlin des 20. Jahrhunderts. Der Carlsen Verlag veröffentlicht die bildgewaltige Geschichte nun erstmals in einem Band.
Brecht Vandenbroucke erzählt in „White Cube“ von zwei Glatzköpfen, die aussehen wie Zwillinge, und bei ihren Museumsbesuchen allerlei Schabernack anstellen. Das machen sie mitunter absichtlich humorvoll, dann gezielt bösartig und manchmal aus Unbedachtheit oder Ahnungslosigkeit. Vandenbroucke spielt fantasievoll haarsträubend mit Klischees aus dem Kunstbetrieb ebenso wie mit Klischees des tumben Unverständnisses. Mit dabei: Abramovic, Clark, Duchamp, Picasso, Michelangelo, Warhol, van Gogh, Shrigley, Leger, Botticelli, Hirst und Charles Burnes (avant-verlag). Einen ähnlich humorvollen Rundgang durchs Museum unternimmt David Prudhomme mit „Einmal durch den Louvre“. Weniger aggressiv als Vandenbroucke, ist der Protagonist hier auf der Suche nach seiner Liebsten, die ihm während der Kunstbetrachtung abhandengekommen ist. Bei der Suche entdeckt er ständig Parallelen zwischen den Werken und den sie betrachtenden Museumsbesuchern. Ein kurzweiliger und vergnüglicher Streifzug durch die heiligen Hallen der Kunst (Reprodukt). Eine Biographie Picassos kommt von Julie Birmant und Clément Oubrerie. Der erste Teil „Max Jacob“ der wunderschön gezeichneten und kolorierten Serie „Pablo“ erzählt fantasievoll und kühnvon den frühen, turbulenten Jahren des noch unbekannten Malers in Paris (Reprodukt).
Henning Wagenbreths „Plastic Dog“-Serie entstand zur Jahrtausendwende für – so hieß das damals – Taschencomputer. Später erschienen die Stories auf zeit.de und im Print. Nun veröffentlicht der Verlag Metrolit eine Sammlung von 24 grobpixeligen One-Pagern betont anachronistisch als dick kartoniertes Buch. Die Geschichten über die digitale Zukunft wirken indes sehr aktuell, und die lustvollen Horrorszenarien haben nichts von ihrem schwarzen Humor eingebüßt.
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