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Charlotte Gneuss und David Blum im Literaturhaus
Foto: Mathis Beste

„Man kann nie genug Leser für seine Projekte haben“

31. Januar 2020

Jungautoren David Blum und Charlotte Gneuss über die Kölner Schmiede – Interview 02/20

Zum dritten Mal hat unter der Leitung der beiden Schriftsteller Dorian Steinhoff und Tilman Strasser (strass & stein) die Kölner Schmiede stattgefunden, eine 2017 gegründete Textwerkstatt am Literaturhaus Köln für sechs junge Autoren, die über ein halbes Jahr hinweg gemeinsam an ihren Romanprojekten gearbeitet haben. Wir sprachen mit den Schmiede-Autoren David Blum und Charlotte Gneuss kurz vor ihrer Abschlusslesung im Literaturhaus. 

choices: Charlotte und David, ihr habt euch im Zuge der Kölner Schmiede in den letzten sechs Monaten drei Mal mit Dorian Steinhoff und Tilman Strasser zusammengesetzt, um über eure Projekte zu sprechen. Könnt ihr eure Projekte einmal kurz vorstellen?

David Blum: Mein Romanprojekt beschäftigt sich im weitesten Sinne mit Potsdamer Amateurfußball. Und zwar mit einem älteren Fußballspieler, der quasi kurz vor seinem letzten Spiel steht. Mit einem Auszug aus dem Projekt habe ich mich auch hier beworben und wurde dann eingeladen.

Charlotte Gneuss: Ich schreibe an einem Projekt über Jugendliche in der DDR, die in Misstrauenskonflikte geraten, die auch mit den Jugendwerkhöfen in der DDR zu tun haben. Gleichzeitig gibt es aber auch eine Gegenwartsebene, in der eben auch Menschen auf diese Vergangenheit zurückblicken und selbst im Gefängnis sind. Hintergrund ist auch, dass ich als Sozialarbeiterin im Gefängnis arbeite und dadurch immer wieder mit Gefangenen in Kontakt komme. Ich habe das Gefühl, dass das eine abgeschlossene Welt ist, die eigentlich auch total spannend ist.

Wie seid ihr auf die Kölner Schmiede gestoßen? Wie genau habt ihr euch beworben?

DB: Also ich kannte auf jeden Fall schon andere Autoren, die daran teilgenommen haben. Leute, mit denen ich am Literaturinstitut studiert habe. Ich bin aber auch immer auf der Suche nach Werkstätten, nach Räumen, wo man sich austauschen kann, weil man meiner Meinung nach nie genug Leser für seine Projekte haben kann. Dann Leute zu finden, die sich mit Belletristik auskennen, und dies auch in Sätze packen zu können, ist immer gut zu haben.

CG: So eine Schmiede ist natürlich total sinnvoll, wenn man LeserInneneindrücke habe möchte, aber auch einfach, um sich mit anderen Menschen austauschen zu können, die auch so ein großes Projekt haben. Es heißt ja immer: Einen Roman zu schreiben ist so schwierig. Und dann habe ich angefangen und dachte: Oh Gott, es ist ja wirklich schwierig. Ich habe allein schon so viele verschiedene Anfänge. Und dann hilft es total, wenn man eine Meinung von Menschen bekommt, die sich mit solchen Strukturen auch auseinandersetzen, weil ein Roman ja auch wie eine Architektur funktioniert. Man muss gewisse Anlagen schaffen, muss schauen, ob die Figuren glaubhaft sind oder nicht. Im Kopf sind die meistens super glaubhaft, man vergisst nur, dass man es ja auch noch aufs Papier bringen muss. Es ist halt ein krasser Vorteil, dass die Leute wirklich anfangen, eine gesamte lange Textstrecke zu lesen. Ich gebe sonst nie jemandem irgendwelche Texte von mir, die so lang sind. Und deshalb war das jetzt überhaupt das erste Mal, dass das jemand gelesen hat. Ich bin, glaube ich, auch über eine Kommilitonin darauf aufmerksam geworden.

DB: Der Vorteil ist halt, dass man auch Leute trifft, die an genau demselben Punkt sind, wie man selbst. Also gerade das erste Projekt schreiben. Und dass dann mit Til und Dorian zwei Leute dabei sind, die nochmal einen Schritt weiter sind und das aus einem ganz anderen Blickwinkel bewerten können.

Bei den Treffen habt ihr immer wieder über Stärken und Schwächen eurer Projekte gesprochen. Wie lief das genau ab? Über welche Themen habt ihr diskutiert?

CG: Ganz pragmatisch gesehen gibt es am Anfang immer eine kleine Runde und jeder gibt zu den einzelnen Projekten seinen Leseeindruck, was ihm gefallen hat, wo man mitgekommen ist. Dann werden Verständnisfragen aufgeworfen, aber noch nicht beantwortet. Das ist ganz wichtig. Der Text soll autonom bleiben, die Autorin, der Autor soll sich so ein bisschen zurückhalten am Anfang. Und dann kommt es halt drauf an, ob der Text gut ist oder der Plot spannend. Dann denkt man so: Okay, die Stimmung ist gut, aber was passiert eigentlich? Oder man denkt: Der Plot ist super, aber bei der  Logik hakt es. Diese Fragen werden dann verhandelt. Und am Ende gibt es dann noch einmal eine Runde, in der man sich in die Lage des Autors versetzt: Was wäre, wenn ich den Text schreiben würde? Wie würde ich es erzählen?

Wie viele Seiten habt ihr jeweils vorgelesen?

DB: Die Seiten waren zu den einzelnen Treffen begrenzt. Beim ersten Mal waren das 30. Das war auch der Umfang, mit dem man sich beworben hat. Und beim zweiten waren es 50, glaube ich. Bei diesem letzten Treffen waren es dann so viele, wie man wollte. Und dann ist das natürlich unterschiedlich ausgefallen je nach Autor. Manche haben dann wieder nur 30 geschickt und andere hatten jetzt 160.

Was war die größte Veränderung, die ihr im Zuge der Zusammenarbeit vorgenommen habt?

CG: Ich habe sehr viel verändert. Aber auch weil ich gemerkt habe, dass mein Thema mich reizt, ich mir aber den Zugang durch eine zu komplexe Struktur verbaue.

DB: Für mich ist es wichtig, dass da jemand ist, der es gegenliest. Obwohl man sehr überzeugt ist von seinem Text: Wenn sechs oder sieben Leuten dasitzen und sagen, das funktioniert aber nicht, dann muss man leider nochmal drüber nachdenken. (lacht) Da gab es auch bei mir Kapitel, bei denen gesagt wurde, dass es nicht klappt, und die ich komplett überarbeitet habe, obwohl ich davor dachte: Das ist das Beste, was ich je geschrieben habe.

CG: Manchmal ist es einfach so, dass man so „Lieblinge“ hat, die für sich super gut funktionieren, aber halt nicht im Text. Die müssen dann rausfallen. Ganz oft passiert das mit Weisheiten, bei denen man zeigen möchte: Ah, ich bin ja so klug. Aber das ist dann meistens eher ein Spruch für den Lebensweisheiten-Kalender.

DB: Das große Problem ist, dass man oft sehr verliebt ist in den eigenen Text und dann oft nicht so objektiv darauf gucken kann, wie jemand, der erst mal ohne Emotion an das Manuskript rangeht.

Ihr habt ja jetzt einen bunten Mix an literarischen Genres gelesen. War es spannend, in die Geschichten der anderen einzutauchen?

CG: Also ich fand die anderen Geschichten super spannend. Tatsächlich habe ich mich auch immer sehr gefreut, dass man mit der Zeit tiefer in die anderen Texte reinkommt. Es ist schön, für andere Texte mitzudenken. Oder zu sehen: Beim letzten Mal habe ich einen Satz kritisiert und jetzt ist er tatsächlich draußen. Oder aber auch zu bemerken, welche großen Schritte die Geschichte von einem zum anderen Treffen gemacht hat. 

DB: Es schult natürlich auch den eigenen Blick. Nicht nur in Bezug auf andere Texte, sondern auch fürs eigene Schreiben. Weil man dann halt sehr schnell bei anderen sieht: Warum siehst du denn nicht, was in dem Text nicht funktioniert? Und dann kann man das sehr schnell auf sich selbst übertragen, dass man dann doch nicht immer so objektiv die Dinge betrachten kann. Oder man sieht dann, dass etwas super gut funktioniert und dann kann man noch einmal nachfragen, wie die oder derjenige das gemacht hat. Oder auch ganz pragmatisch, dass man lernt, wie man an Texten überhaupt arbeitet. Also jetzt gar nicht inhaltlich gesprochen, sondern: Wann arbeitet man? Wie arbeitet man, unter welchen Umständen? Wie könnte man das verbessern?

Wie weit seid ihr mit dem Projekt mittlerweile? Ist die Rohfassung bereits fertig oder produziert ihr noch Text?

CG: Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin immer am Anfang. Aber das habe ich schon immer,  seitdem ich schreibe. Aber das ist auch okay. Darum geht es, glaube ich, auch gar nicht. Ich finde, es ist okay für mich zu wissen, dass ich am Anfang stehe, aber schon sehr viel darüber nachgedacht habe und merke: Ich komme der Sache immer näher. Und so ein Roman ist auch ein ständiger Prozess. Das ist keine Sache von einem Jahr. In meinem Kopf darf das schon fünf Jahre dauern, das ist völlig in Ordnung. Mit der Seitenzahl hat so etwas wenig zu tun, habe ich den Eindruck.

DB: Genau! Man kann auch wahnsinnig schnell viel Text produzieren und dann rüttelt man aber irgendwo an einem Satz und auf einmal fallen 80 Seiten in sich zusammen. Aber na klar: Jedes Wort, was man schreibt, hilft natürlich ein bisschen mehr, um seinem Ziel ein bisschen näher zu kommen.

CG: Also der Text macht ja auch Sachen für sich. Man möchte etwas sagen und dann schreibt man und dann sagt der Text plötzlich etwas anderes. Dann ist halt die Frage, ob man das, was der Text sagt, weiterverfolgen will oder ob man ihn nochmal zurechtschneiden möchte auf die eigene Aussage. Es ist ein bisschen wie bei einer Zeichnung. Viele Menschen arbeiten ja nicht mit dem Radiergummi, weil man zeichnet und dann immer alles raus radiert, was gerade nicht reinpasst. Man kann schon eine Vorstellung haben, aber meistens entwickelt sich der Text von selbst. Das ist eine Eigendynamik, die man einfach akzeptieren lernen muss. Aber es darf einem trotzdem nicht aus der Hand fallen.

DB: Deshalb ist es auch nochmal gut, wenn jemand mit Erfahrung von außen darauf schaut. Dorian und Til haben oft gesagt: Den Abzweig da, den geh mal lieber nicht lang. Und: Da ist doch so ein toller Weg, der schon im Text angelegt ist und da musst du ja einfach nur weiterlaufen.

CG: Man sieht auch manchmal gar nicht, dass man da schon eine Struktur geschaffen hat, die man weitergehen könnte. Aber das sehen dann andere.

Gleich präsentiert ihr eure Texte. Freut ihr euch schon oder seid ihr eher aufgeregt?

DB: Muss nicht! (lacht)

CG: Also ich finde den Gedanken schrecklich (lacht). Ich will da nicht auf die Bühne gehen. Ich hab' auch schon Zeiten gehabt, wo ich gerne gelesen habe, aber dann war der Text auch ganz frisch. Der Text ist jetzt schon ein paar Wochen alt. Wenn er ganz frisch ist, kann ich ihn viel besser sprechen.

DB: Wir halt ja keine Profis. Zumindest noch nicht! Deswegen ist die Aufregung natürlich noch ein bisschen größer. Und man geht jetzt nicht mit der absoluten Routine daran und sagt: Das lese ich jetzt runter, egal was passiert.

CG: Wir sind ja auch keine Schauspieler. Von vielen AutorInnen wir ja auch erwartet, dass sie gut lesen können. Und viele können das aber auch gar nicht. Und dann fragen sich die Leute: Wieso hat der so eine schreckliche Stimme und so ein gutes Buch geschrieben? Er ist halt Autor und nicht Sprecher.

DB: Dafür ist natürlich so eine Werkstatt super, weil man auch sieht, was alles dazugehört. Wir hatten heute zwei Lektorinnen und eine Agentin da. Da sieht man dann auch mal, was alles noch dranhängt. Und dass man dann auch auf die Bühne gehen muss, ist ja auch irgendwie klar, wenn man vorhat, ein Buch zu veröffentlichen.

Interview: Mathis Beste

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