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Der Biologe David G. Haskell
Foto: Buck Butler

Kluges Grünzeug

24. September 2015

Denken lernen mit den Pflanzen – Textwelten 10/15

Sind Pflanzen intelligent? Die stehen doch nur so herum und wurden schon in der Antike bloß als niedere Lebewesen kategorisiert. Selbst den Menschen, die sich mit ihnen beschäftigen – den Botanikern und Gärtnern – haftet der Verdacht an, dass es sich bei ihnen zumindest um Eigenbrötler handelt. Unbeweglichkeit passt nicht in eine Welt, in der alleine der Gott der Geschwindigkeit herrscht. Allerdings könnten wir nicht eine einzige Woche auf diesem Planeten ohne die Pflanzen überleben, die uns mit Nahrung, Energie und Sauerstoff versorgen. Eine Vorstellung von der Cleverness der Pflanzen, die mit ihrer Umwelt kommunizieren und den belohnen, der ihnen Gutes tut, während sie denjenigen, der ihnen schadet, zu bestrafen wissen, gibt uns Stefano Mancuso in seinem Buch „Die Intelligenz der Pflanzen“.


Stefano Mancuso, Foto: Anna Maria Marras

Der Italiener, einer der renommiertesten Pflanzenforscher Europas, hat sich für dieses Projekt die Journalistin Alessandra Viola ins Boot geholt, die wunderbar zu erzählen versteht. Etwa von den Kirschbäumen, die ihre Samen mit Hilfe der Vögel über weite Strecken auf dem Erdboden verteilen. Wobei das Aroma der Kirschen die Belohnung für die Vögel darstellt. Mancuso erklärt die Bedeutung der Wurzeln, die Nährstoffe im Boden zu lokalisieren verstehen und Nachbarschaften mit anderen Pflanzen regeln. Enorm sensibel erkunden die Pflanzen ihr Umfeld und dazu stehen ihnen Organe und Sinne zur Verfügung, wie sie auch Tiere und Menschen besitzen. Schlägt man einem Tier den Kopf ab, verendet es. Bei Pflanzen verteilen sich Sinne und Organe jedoch über den gesamten Körper, wird ein Teil beschädigt, können die anderen weiterexistieren.

Im Grunde geht es bei Mancuso aber nicht alleine um die Intelligenz der Pflanzen, sondern um Lebensmodelle und vor allem um Denkmodelle, die sich aus der Systematik und der Kreativität ergeben, mit der die Pflanzen die Probleme ihrer Existenz lösen. Wie geht man mit Standortnachteilen um, wie organisiert man Oberflächen und wie nutzt man Nachbarschaften. Einen Faden, den auch David G. Haskell in seinem Buch „Das verborgene Leben des Waldes“ aufnimmt. Der Amerikaner beobachtet ein Jahr lang eine Waldfläche von nur einem Quadratmeter – aber die gründlich. Ausdauer, Begeisterung und Entdeckerfreuden trieben ihn im Verlauf seiner Untersuchung an, die den ganzen Kosmos des Lebens in ein paar Handvoll Erde nachzeichnet. Ein Buch, prall gefüllt mit Wissen über Blumen, Schnecken, Insekten, Farne, Pilze, Moose, Bäume und vieles mehr. Haskell demonstriert die Fruchtbarkeit des traditionellen Verfahrens der Naturbeobachtung mit der Verve eines begeisterten Erzählers. Die vermeintliche Schrulligkeit der Botaniker entpuppt sich denn auch als Fähigkeit zur konzentrierten Wahrnehmung und der Bereitschaft, Botanik mit Philosophie, Theologie und Literatur zu verknüpfen. Wahre Think Tanks liefern Haskell und Mancuso, die ihre Leser entsprechend verändern, denn nach dieser Lektüre betrachtet man den Baum im Vorgarten garantiert mit anderen – respektvolleren – Augen.

Stefano Mancuso / Alessandra Viola: „Die Intelligenz der Pflanzen“ | A. d. Ital. v. Christine Ammann | Kunstmann | 168 S. | 19,95 €

David G. Haskell: „Das verborgene Leben des Waldes“ | A. d. Engl. v. Christine Ammann | Kunstmann | 326 S. | 22,95 €

Thomas Linden

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