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Frank Überall
Foto: Thomas Dahl

„Wie werden wir dargestellt?“

18. August 2022

Frank Überall über seine Studie zur Wahrnehmung des Journalismus – Spezial 08/22

choices: Herr Überall, Sie untersuchen in ihrem Buch „Wie die Presse sich aufführt“ die fiktive Beschreibung von Journalist:innen in der zeitgenössischen Literatur. Dabei haben Sie 51 Werke der Spiegel-Bestsellerliste aus den Jahren 2019-2021 untersucht. In welchen Bildnissen erscheinen denn die erdichteten Kolleg:innen?

Frank Überall: (lacht) Die kommen meist im Rudel und oftmals aus dem Krimi-Genre. Dabei gibt es immer wieder Konflikte, beispielsweise mit der Polizei. Kein Wunder: Die einen wollen mitunter etwas geheimhalten und wir Dinge an die Öffentlichkeit zerren.

Welche weiteren Erkenntnisse ergeben sich aus der Studie?

Manche Autor:innen betreiben regelrechte Selbsttherapie, indem sie die Figuren über Rezensionen der eigenen Werke sprechen lassen. Interessant war auch, dass die Schriftsteller:innen offensichtlich mehr Bezug zu Tageszeitungen als zu digitalen Medien haben. Das ist in der Realität nicht mehr so. Männer und Frauen treten übrigens, entgegen der Annahme, gleich oft auf. Journalist:innen mit diversem Geschlecht gibt es dagegen gar nicht. Auch die vermuteten Tiernamen, wie „Ratte“ oder „Geier“ als Charakterisierung fehlten, dafür eine ganze Reihe von nicht schmeichelhaften anderen Schimpfwörtern. Populär sind auch fiktive Zitate aus existierenden Medien.

Haben Sie sich in der Darstellung als Journalist selbst wiedererkannt?

Wir treten ja tatsächlich mitunter in Gruppen auf, beispielsweise, wenn Bundespräsident Frank Walter Steinmeier ein Jahr nach der Flutkatastrophe in die betroffenen Orte reist. Auch die Selbstreflektion der Figuren hat viel mit der Realität zu tun, etwa der freie Journalist, der um Aufträge bangt, der Angst hat, die nächste Miete nicht zahlen zu können. Ich bin glücklicherweise in einer Lebenssituation, wo das nicht mehr so ist, aber ich mache das auch schon seit 30 Jahren. Die Konflikte, die es in Redaktionen oder in der Kommunikation mit anderen Stellen gibt, sind ebenfalls real. Spannend ist, dass viele Menschen niemanden aus dem Journalismus persönlich kennen. Das bedeutet, die Lektüre ist nicht selten die einzige Quelle, aus denen Sie von Menschen aus diesem Beruf etwas erfahren. Da werden unter Umständen Vorurteile geprägt.

„Ein Presseausweis kann sexy sein“

Welche Klischees haben sich in der wissenschaftlichen Arbeit bestätigt?

Es gibt eine Reihe von Autoren, die das Klischee des nervigen, nicht die Wahrheit schreibenden Journalisten bedienen, etwa Michel Houellebecq oder T.C. Boyle, die schon sehr damit spielen –  Jussi Adler-Olsen teilweise auch. Das wird aber nicht in der Mehrheit aufgegriffen. Tatsächlich spiegeln die Charaktere ehrliche Arbeit wider, die gelegentlich sogar in Bewunderung für den interessanten Beruf gipfelt. Ein Presseausweis kann demnach „sexy“ sein.

Welche realistischen Hypothesen über Reporter:innen offenbarten sich in der Studie?

Interessant war, festzustellen, dass das Rollenmodell des aufklärenden, berichtenden Journalisten nicht federführend ist, sondern das des Nachrichtenverkäufers, der im Hinterkopf hat, wie viele Leser:innen seine Artikel erreichen. Auch das ist real. Wir tendieren mehr dazu, uns mit den kommerziellen Aspekten auseinanderzusetzen als in der Vergangenheit. Das haben die Autor:innen erkannt. Ich hatte gehofft, dass das aufklärerische Ideal mehr in den Mittelpunkt gestellt wird. 

Wie haben Ihre Presse-Kolleg:innen bisher auf das Buch reagiert?

Positiv. Viele Redaktionen haben von sich aus den Kontakt zu mir aufgesucht. Das war neu. Ich habe auch Reaktionen aus ganz anderen Bereichen bekommen, zum Beispiel dem Forum Milch aus der Landwirtschaftslobby. Die Aussage war: Eigentlich müsste man das für unseren Berufsstand auch machen. Wenn sich nun Akademiker im Zuge ihrer Bachelor- und Masterarbeit, Promotion oder Habilitation mit einem anderen Berufsstand auseinandersetzen würden, fände ich das wunderbar.

„Es ist wichtig, neben dem empirischen auch den fiktionalen Seismographen zu betrachten“

Welche Bedeutung haben die gesammelten Fakten für Sie persönlich?

Zunächst einmal, Bücher lesen, ist für mich in weiten Teilen ein Vergnügen. Ich brauche das nach den ganzen digitalen Marathons zum Runterkommen. Grundsätzlich fand ich es hochinteressant, den Kommunikationshaushalt unserer Gesellschaft auf diese Art zu vermessen.

Wie kann man der Mythenbildung um Journalist:innen, Polizist:innen oder Politiker:innen entgegenwirken, damit Vorurteile, die vielleicht zu Gewalt führen, eingedämmt werden?

Interessanterweise werden diese Mythen in den untersuchten Werken nicht so abgebildet. Man sollte das im Auge behalten. Gleichwohl ist es wichtig, neben dem empirischen auch den fiktionalen Seismographen zu betrachten. Wie werden wir dargestellt? In der Einführung des Buches habe ich  den Bereich der Politiker:innen gestreift. Und auch in Bezug auf die Arbeit der Polizei werden  Dinge mitunter überspitzt oder schlicht falsch dargestellt. In einem TV-Krimi setzten sich die Beamten eines SEK-Einsatzes, bei dem jemand angeschossen wurde, nach der Aktion in aller Seelenruhe hin und riefen einen Notarzt. Das ist Unsinn! Bei einem SEK-Einsatz ist ein Schusswechsel immer möglich. Da kann es keinen Einsatz ohne Begleitung eines Notarztes geben. Natürlich braucht es für einen Film oder ein Buch immer eine dramatische Zuspitzung. Die Realität ist halt in der Regel langweilig. Sie könnte die Spannung in einem Film, der nur 90 Minuten dauert, ohne dramaturgische Bearbeitungen schwerlich wiedergeben.  

Gibt es da eigentlich Darstellungen, die Sie besonders interessant finden?

Natürlich kommen einem Charaktere wie Bob Woodward und Carl Bernstein im Film „Die Unbestechlichen“ mit Robert Redford und Dustin Hoffmann in den Sinn. Aber da gibt es noch jemanden: Baby Schimmerlos (Franz Xaver Kroetz, Anm. d. Verf.) aus „Kir Royal“. Mario Adorf spielt dort den mächtigen Unternehmer Heinrich Haffenloher, der versucht, diesen schmächtigen Boulevard-Journalisten einzuschüchtern. Aber das funktioniert nicht.  Nach einigen vergeblichen Versuchen empfängt Haffenloher ihn am heimischen Pool im Morgenmantel und hält einen unglaublichen Monolog (rezitiert sinngemäß): „Isch krisch disch. Isch schick dir jeden Tach nen Koffer Jeld. Irjendwann hab ich disch, dann jehörst du mir, dann berischtest du, wat isch will ...“.

Sind Sie schon einmal in eine vergleichbare Situation geraten?

Ja. Es gab ein Unternehmen, über das ich kritisch berichtet habe und das mir lange keine Interviews gewährte. Irgendwann kam ein Anruf: Man wäre jetzt bereit, mit mir zu sprechen. Sie wollten einen 15-minütigen Talk mit dem Firmen-Chef produzieren, auch, um das Image in der Öffentlichkeit zu verbessern. Da könnte ich ruhig kritisch nachfragen. Dafür sollte ich ein unangemessen hohes Honorar erhalten. Damals hatte ich für Monitor über dieses Unternehmen berichtet. Auf die Beiträge war ausdrücklich Bezug genommen worden. Ich habe den Herrn darum gebeten, dieses Angebot schriftlich bei Sonia Mikich, der Moderation des Magazins, einzureichen. Ich sagte, wenn Sonia Mikich das genehmigt, würde ich das Interview sogar umsonst machen. Und dann kam der schöne Spruch, so wäre das aber nicht gemeint. Die Anfrage an Sonia hat es nie gegeben.

Frank Überall: Wie die Presse sich aufführt – Die Darstellung des Journalismus in der Bestseller-Literatur | Lit Verlag | 140 S. | 19,90 €

Interview: Thomas Dahl

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