Wir kennen alle das Bild, auf dem John, Paul, George und Ringo lässig über den Zebrastreifen vor den Abbey Road Studios spazieren. Die Studios wurden zum Ende der sechziger Jahre von Heerscharen junger Mädchen belagert. William Shaw beschreibt in seinem Kriminalroman „Abbey Road Murder Song“, wie eine Straßenecke weiter die Leiche einer nackten jungen Frau in einer Hauseinfahrt gefunden wird. Es braucht seine Zeit, bis ihre Identität geklärt ist und sich zeigt, dass sie tatsächlich aus dem Dunstkreis der Beatles-Fans stammt, ihre Ermordung weist jedoch in eine ganz andere Richtungen.
Die Ermittlungen führt Detective Breen, ein Kriminalist, der von seinen Kollegen ohne jede Scheu gemobbt wird, weil man Breen für einen Feigling hält, der einem bedrohten Kollegen nicht zur Hilfe geeilt ist. Breen ist freundlich aber zurückhaltend, er lebt einsam im Haus seines vor kurzem verstorbenen Vaters, der ihn ohne Mutter aufgezogen hat. Eine fragile, psychisch scheinbar angeschlagene Gestalt, die sich der englische Journalist William Shaw als Protagonisten für sein Krimi-Debüt ausgesucht hat.
Aber unter der stoischen Gelassenheit, mit der Breen den Spott seiner Kollegen erträgt, kommt eine Zähigkeit zum Vorschein, die ihn in einen effektiven Ermittler verwandelt, der sich trotz zahlreicher Rückschläge in seinen Fall verbeißt. Ihm an die Seite hat man Tozer, eine junge Polizistin aus der Provinz gestellt. Damals gab es in England schon Polizeibeamtinnen, während man bei uns noch keinen Gedanken an eine solche Praxis verschwendete. Auf Rosen waren die Frauen im Polizeidienst freilich nicht gebettet, wie sich schnell zeigt. Als sich Breen beim Versuch die Katze eines kleinen Mädchens von einem Baum zu retten, das Schlüsselbein bricht, muss Tozer den Dienstwagen fahren, das erledigt sie mit Freude, obwohl Beamtinnen damals noch gar nicht ans Steuer durften.
Das Zeitkolorit der Sechziger und ein London, das Antonionis „Blow up“ ähnlich gesehen haben muss, flackern immer einmal wieder in Shaws Prosa auf, ohne dass man jedoch wie bei David Peace den Eindruck gewinnen könnte, dass der Roman aus dem Bodensatz des historischen Ambientes heraus geschrieben worden wäre. Faszinierend stellt sich jedoch die Beziehung zwischen Breen und Tozer dar, gegensätzlich in Temperament und Herkunft ergänzen sich die beiden in ihrer Arbeit. Tozer bringt Mut und Energie ein, während Breen der umsichtige, kombinierende Typ ist. Natürlich fragt man sich, ob daraus eine Affäre entstehen wird. Auch die beiden stellen sich diese Frage. Aber ihre Beziehung stellt sich doch als recht kompliziert dar und tatsächlich liegt in dem sensiblen Spiel von Nähe und Distanz die Würze des Romans.
Als die beiden den Eltern des ermordeten Mädchens auf die Spur kommen, gibt es weitere Todesfälle und die Diskussion um den Völkermord in Biafra – der damals die Gemüter in ganz Europa erhitzte – spielt ebenfalls eine Rolle bei den Recherchen des Falls. Shaw entwickelt einen dichten Prosateppich, in dem die Polizeiarbeit gründlich ausgebreitet wird. Aber er versteht es auch, immer wieder Überraschungen einzubauen und neue Perspektiven auf das Geschehen zu eröffnen. Man will stets wissen, welche Wendung der Fall noch nehmen wird. Und mit Breen und Tozer gelingt Shaw die Darstellung eines Paars, das in der literarischen Welt auch außerhalb des Genres Bestand haben könnte.
William Shaw: Abbey Road Murder Song. Deutsch von Conny Lösch. Suhrkamp Nova. 476 S., 14,99 €
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