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Cover „Die kleine Hexe“
Foto: Presse

Den Wald kehren

28. Februar 2013

Sprachliche Altlasten im Kinderbuch erzürnen die Nation – Textwelten 03/13

Unsympathisch sind sie, diese neunmalklugen Moralapostel, die immer schon wissen, wo sprachlich die rote Linie zum Rassismus oder Sexismus überschritten wird. Müssen wir die Kinder fernhalten von Otfried Preußlers Kinderbuch „Die kleine Hexe“, weil dort das Wort „Negerlein“ auftaucht, oder von Astrid Lindgren, die ihre Pipi Langstrumpf so gerne von ihrem Papa erzählen lässt, der am anderen Ende der Welt sein Dasein als „Negerkönig“ fristet? Muss man ein solches Wort entfernen, oder ist da zwanghafte Sprachhygiene am Werk?

Ein Vater hatte sich an den Thienemann Verlag gewendet, weil seine dunkelhäutige Tochter mit einem beleidigenden Begriff in ihrem Lieblingsbuch konfrontiert würde. Der Verlag reagierte und ersetzte das Wort, nachdem Preußlers Familie zugestimmt hatte. Ist das vorauseilender Gehorsam? Ja, meinen 70 Prozent der Deutschen, nachdem eilig eine Umfrage gestartet worden war. Die Feuilletons zeigten sich empört, das Wort „Zensur“ ist dann schnell zur Hand, und die Häme folgt gleich auf dem Fuße. Vor allem ältere Leser zeigten sich erzürnt, offenbar weil sie meinten, ihre Erinnerung an eigene Lesestunden mit der sympathischen Hexe würde beschädigt. Interessanterweise stimmten unter den jungen Leuten fast 40 Prozent für eine Änderung des Wortes. Das ist jene Generation, die den „Negerkuss“ als „Schokokuss“ kennengelernt hat. Tatsächlich darf man sich fragen, ob der „Neger“ nicht ohnehin der liebgewonnene Geselle einer lange zurückliegenden Kindheit ist, an die man sich mit verklärtem Blick erinnert?

Aber inzwischen gehört dieses Wort nicht mehr in unseren Sprachgebrauch. Wer es verwendet, will verletzten, warum also soll es im Kinderbuch selig gehätschelt und noch zukünftigen Generationen serviert werden? Was wird es dann bezeugen? Doch wohl den altmodischen Duktus des Textes, und als solches beschädigt es auch stilistisch den Wert dieses Textes. Staub ist nicht appetitanregend. Eine Tatsache, der die Literatur unablässig im Bereich der Übersetzungen Rechnung trägt. Wer möchte die sämige Altherrenpoesie von vor 40 Jahren lesen, in der Flauberts „Madame Bovary“ übertragen wurde, wenn Elisabeth Edl in ihrer aktuellen Übersetzung der Gattin des Landarztes wieder die klare Kontur ihrer Erotik zurückgibt? Im Übrigen würde auch Pipi Langstrumpf eine sprachliche Frischzellenkur guttun.

Interessant ist, dass die Preußler-Familie auf den Einwand der „Negerlein“ reagiert hat, während sie sonst Änderungen eher ablehnend gegenüberstand. Offenbar hat man zu unterscheiden gewusst, dass Stammvater Otfried nur das Beste für seine „kleine Hexe“ wollte, aber 1957, als die „Hexe“ erschien, bediente man sich in Deutschland halt noch einer verkarsteten Sprache, in der deutliche Spuren der braunen Vergangenheit enthalten waren. Schön, wenn Eltern ihren Kindern diese Zusammenhänge auf der Bettkante zu erklären vermögen. Aber welches Vorschulkind ist über die historischen Zusammenhänge des deutschen Schicksals unterrichtet und zur Textkritik in der Lage, zehn Minuten, bevor die Augen zufallen?

Wir werden also damit leben müssen, dass aus den „Negerlein“ möglicherweise „Pfeifenputzerlein“ werden. Ein bisschen Erwachsenwerden hat noch niemandem geschadet.

THOMAS LINDEN

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