„Woröm moot hä och usjerechnet op Fastelovend als Saddam Hussein en uns Weetschaff kumme …“ (The Piano Has Been Drinking von Saddam Alaaf)
Gut, Saddam im Erdloch ist geistig noch irgendwie abrufbar. An Gerd Kösters Band erinnern sich aber vermutlich nur noch die Wenigsten, geschweige denn an das Schicksal des ‚sächsischen Märchenprinzen‘, der sich an Karneval in einer kölschen Kneipe ‚breit‘ macht (während unlängst der Rosenmontagszug wegen des Golfkriegs geplatzt ist). Man kann es auch übertreiben. Auch em Fastelovend. Irgendwo is Schluss mit lustig. Also Vorsicht bei der Wahl des Kostüms! Wobei… Ob sich ein jecker Trump – so mit mal aufgeblasenen, mal hängenden Lefzen und ‘nem dilettantisch verblondeten Scheiteltoupet – der Gefahr eines Schädelbruchs aussetzen würde? … Fakt ist: Trumps Wahlkampf war gar keine Karnevalsveranstaltung. Nix Persiflage. Nix Parodie. Nicht ein Fünkchen Übertreibung, Ironie, Sarkasmus. Die Töle bellt nicht nur, sie beißt auch.
Das tut Gregor Webers Straßenköter Ruben Rubeck, Kriminalkommissar im Frankfurter Bahnhofsviertel, auch. Und nicht zu knapp. Allerdings bleibt ihm auch keine große Wahl, nachdem er über eine Straßenschießerei unvermittelt in bis in die Jetztzeit reichende kriminelle Auswüchse aus dem Balkankrieg (und damit seine eigene Vergangenheit) stolpert. So muss sich neoromantischer Pulp lesen: auf der Klinge der Realität, hard-boiled, was politische Correctness, Gewaltbereitschaft und Alkoholskonsum angeht, gespiegelt an einer „Asphaltseele“ [Heyne], die den bösen Wolf als edles Tier rehabilitiert.
Auch „Die lachenden Ungeheuer“ [Rowohlt] Roland Nair und Michael Adriko ähneln einsamen Wölfe: zwei skrupellose Glücksritter, stets auf den eigenen Vorteil bedacht, die sich aus Kosten-Nutzen-Gründen auch mal gemeinsam die Taschen voll machen. Sowas funktioniert natürlich am besten unter der Tarnkappe diverser Spionageorganisationen; solange man sich an die Spielregeln hält. Zehn Jahre nach ihren Machenschaften im Bürgerkrieg von Sierra Leone glauben beide jedoch, ihr eigenes Spiel spielen zu können – und landen nicht nur in Afrikas, sondern auch ihrem eigenen Herz der Finsternis. Düster, voluminös, abgründig: Denis Johnson.
Wie schutzbedürftige Schäfchen nehmen sich da die Protagonisten in William Egglestons „Porträts“ [Scheidegger & Spiess] aus. Und das gilt nicht nur für seine frühen, aus dem Alltag geborenen s/w-Fotografien der Namenlosen, sondern mindestens genauso für seine legendären Farbaufnahmen, die dem Medium zum Durchbruch verhalfen. Fernab jeglicher Inszenierung, quasidokumentarisch, immer geradeaus drauf verleiht er der Ohnmacht und Ausdruckslosigkeit des Menschen einen mysteriös-poetischen Ausdruck; als ob seine Portraits sprechen könnten.
Ganz anders die Figuren in Germán Kratochwils „Territorium“ [Picus]: Im tiefsten Patagonien, im Schatten von Anden und Vulkan scheinen sämtliche aus der Globalisierung geborenen Konflikte wie von einem anderen Stern. Dabei ist das beschauliche Städtchen in Tehuelche- und Mapuche-Gebiet selbst ein aus der Weltgeschichte hervorgegangener Schmelztiegel, dessen multikulturelles Gebräu unter der Oberfläche vor sich hin siedet. Juden und Nazis, Araber und Christen, Latinos und Indigénos in einem idyllischen Ringelpietz mit Anfassen – bis, nein, nicht Trump durch die Tür tritt…
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