Es ist noch gar nicht so lange her, dass der sehr persönliche Pointilismus aus Australien die europäischen Kunstmärkte erreicht hat. Die ersten Arbeiten der Aborigines erzeugten erst einmal Staunen, schnell aber auch einen Haufen Fragen. Das Museum Ludwig zeigt jetzt exemplarisch neun der Überseekünstler, die Arbeiten stammen alle aus der Zeit nach 1960 (vergleichende Ausstellungskritik siehe „Kunst in Köln“, S.54). Auch wenn man Stil und Material der Werke inzwischen gewöhnt ist, so richtig antworten können die Bilder auf unsere Fragen nicht, denn die Gedankenwelt, in der sie entstanden sind, ist so fremd, so anders, so ungeheuer künstlerisch.
Schon beim Betreten der Räume kann man diese Andersartigkeit spüren, ein gemeinsamer Farbklang, ein gemeinsamer Duktus der Ausführung bestimmt die Atmosphäre, doch schon bei näherer Betrachtung erkennt man gewaltige Unterschiede in den Arbeiten. Und sie wirken irgendwie fremd in diesen heiligen Hallen der internationalen Kunstmetropole, an diesen sauberen Wänden, hinter den ernst dreinblickenden Bewachern und den gespannten Betrachtern. Sie wirken auch ein klein bisschen fehl am Platz ohne die eigene Kosmologie aus weitem Land und rotem Stein und ohne den Ursprung natürlicher Pigmente und Baumrinde.
Längst haben sich die zeitgenössischen Künstler unter den Aborigines von den einfachen Substanzen, Materialien und Untergründen verabschiedet. Sie nutzen Acrylfarbe, Leinwände, Holzplatten wie der Rest der Welt. Trotz ihres Ursprungs in entlegenen Gebieten Australiens sind die Werke dieser indigenen Künstler inzwischen zentrale Beiträge zur internationalen zeitgenössischen Kunstproduktion, die den Blick auf Malerei und Bildfindung zu erweitern vermögen. Nur ihre Inhalte bleiben selten restlos durchdringbar. Ein Beispiel dafür ist „Dingo Dreaming“ von Clifford Possum Tjapaltjarri (ca. 1932-2002). Das Bild, Acryl auf Leinwand, ist 1996 entstanden. Es zeigt aus einer Vogelperspektive die Spuren eines Dingo, eines Menschen und eines Emus. Sie werden durch eine Öffnung in der Mitte des Bildes umgelenkt, das Zerstörung durch den Bau eines Dammes darstellen soll. Das wäre eine relativ kurze Interpretation des komplexen Sichtbaren. Ohne das Wissen und das Verständnis um die Mythologie der sogenannten Traumzeit, des Entstehungsmythos der Ureinwohner Australiens, dürfte jede Erklärung der Arbeit flach werden. Die Eingriffe der Europäer in das komplexe Gedankenwerk, das sich immer (bis heute) auch mit der Unversehrtheit der Umwelt identifizierte, müssen hier mitgedacht, eher mitgefühlt werden, und das fällt schwer.
Dorothy Napangardi (geb. Anfang der 1950er Jahre) ist die jüngste der KünstlerInnen, die die Ausstellung „Remembering Forward“ zeigt. Sie ist neben Emily Kame Kngwarreye die einzige, die nicht mit dem traditionellen Malstil arbeitet. Ihr großformatiges, schwarzweißes Bild „Sandhills“ (2004) zeigt in synthetischer Polymerfarbe auf Leinwand mit sehr minimalistischen, winzigen gepunkteten Linien die Oberfläche einer Landschaft, vielleicht aber auch die Bewegungen tanzender Ahnenfrauen. Erst im reifen Alter durfte die dem Warlpiri-Verband angehörende Künstlerin damit beginnen, die „Dreamings“ ihrer Familie darzustellen, in denen es um die Ahnenfrauen geht, die von Mina Mina aus mit ihren Grabstöcken in östliche Richtung tanzen.
„Remembering Forward” I bis 20.3. I Museum Ludwig, Köln I 0221 22 12 61 65
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