Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
15 16 17 18 19 20 21
22 23 24 25 26 27 28

12.557 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Wilhelm Scheiner, Buttermarkt, 1890
Kölnisches Stadtmuseum / Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln

Schmutzige Kinder, Armut und faszinierende Architektur

26. November 2015

Die Fotografien von Wilhelm Scheiner zeigen das historische Köln – Kunst 12/15

Ein Medium wie die Fotografie haben sich die Menschen immer gewünscht, um ihr Leben zu dokumentieren und mit dem Blick auf die Bilder in die Vergangenheit schauen zu können. Allerdings hat die Fotografie über viele Jahrzehnte hinweg gar nicht auf diese Weise funktioniert. Fotografiert wurde zumeist, um zu repräsentieren, die Familie, die Firma oder den sozialen Stand, alles im Sonntagskleid. Man fotografierte so, wie sich einstmals die Fürsten malen ließen. Das Alltagsleben oder die Welt der armen Stadtbevölkerung war niemandem die Mühe eines Fotos wert. Schon deshalb ist das Werk des Kölner Fotografen Wilhelm Scheiner (1852 – 1922) ein Kleinod. Das Kölnische Stadtmuseum zeigt jetzt Kostproben aus den Jahren zwischen 1875 und 1905 unter dem Titel „Köln ungeschönt. Wilhelm Scheiner als Fotograf“.

Man würde seinen Talenten schmeicheln, bezeichnete man Wilhelm Scheiner als drittklassigen Maler. Trotzdem verdienten er und sein Vater Jakob Scheiner gut an den von ihnen gemalten Idyllen, die Köln in ein nostalgisches Licht rückten, das die bürgerliche Klientel der Malerfamilie schlichtweg entzückte. In einer Sache unterschieden sich die beiden jedoch.

Jacob fertigte noch Skizzen als Vorstudien für seine Bilder an, während Wilhelm dem technologischen Fortschritt aufgeschlossen gegenüberstand und mit einer Plattenkamera durch die Gassen der Domstadt zog. Er interessierte sich für die Architektur der Domstadt, ihre Straßen und Plätze, und übertrug die Motive dann später in seine Aquarelle. Die Gemälde zeigten dann Kinder im Sonntagsstaat, Frauen mit Hüten und Männer im vornehmen Gehrock, die mit gewölbter Brust über die Straße stolzierten. Die Fotografien der Altstadtgassen dokumentieren hingegen eine Realität, die ganz anders aussah. Angesichts der winzigen Wohnungen, in denen Großfamilien leben mussten, sieht man viele schmutzige Kinder in den Straßen. Die Männer sieht man bei der Arbeit, alte Frauen sammeln Pferdeäpfel vom Pflaster auf, Mütter stehen beim Milchmann an, und Prostituierte warten am Eingang zur Bordellstraße mit dem sprechenden Namen „Bischofs Fleischhöfe“ auf Besucher.

Die Ausstellung beeindruckt sowohl durch ihren dokumentarischen wie durch ihren ästhetischen Stellenwert. Scheiner verfolgte den Abbruch der Stadtmauer in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts, durch den Köln ein neues Gesicht bekam und er gibt uns eine Vorstellung vom sozialen Leben in den engen Gassen der Altstadt. Die Bevölkerungszahlen explodierten in jenen Jahren, so dass Kuratorin Rita Wagner einen interessanten Vergleich anstellen konnte: Während heute im indischen Mumbai 29 000 Menschen auf einem Quadratkilometer wohnen, lebten damals in Köln 39 000 Menschen auf der gleichen Fläche.

Die eigentliche Sensation der Ausstellung liegt in der Entdeckung des außerordentlich talentierten Fotografen. Gewöhnlich lehnten sich die Fotografen stilistisch an die Bildkompositionen den Maler an. Die Fotografie existierte noch nicht als eigene Kunstgattung, sieht man einmal von einem fotografischen Genie wie Eugène Atget ab. Der Katalog zur Kölner Ausstellung zeigt jedoch, dass Schreiner in Köln fast deckungsgleiche Aufnahmen wie sein Pariser Zeitgenosse schoß. Während in Scheiners Idyllen auf erbarmungswürdige Weise weder Perspektive, noch Farbwahl, Licht oder Gestalten stimmten, zeigt er in seinen Fotografien eine professionelle und sehr effektvolle Lichtführung. Wirken die Figuren seines Gemäldes des Deutzer Schützenfestes von 1890 wie aus Gips modelliert, erkennt man auf der fotografischen Vorstudie die Neugierde und die ansteckende Freude der Menschen an einer Kirmes. Scheiner besaß aber nicht alleine einen Blick für Straßenszenen, sondern er überzeugte auch als Architekturfotograf, der mit seinem Gespür für die Tiefe des Raums unseren Blick in die Bilder hineinsaugt.

Zur Ausstellung ist ein Katalog zum Preis von 18,90 € erschienen.

„Köln ungeschönt. Wilhelm Scheiner als Fotograf" | bis 24.4. | Kölnisches Stadtmuseum | 0221 22 12 57 89

 

Thomas Linden

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Civil War

Lesen Sie dazu auch:

Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24

Neues aus der Kunstszene
Discovery Art Fair in Köln

Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24

Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24

Vom Älter Werden
Ein „Blick in die Zeit“ in der Photographischen Sammlung

Meisterinnen der Malerei
„Maestras“ im Arp Museum Rolandseck

Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24

Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24

Ohne Filter
„Draussensicht“ in der Oase – Kunstwandel 01/24

Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23

Ereignisreiche Orte
Simone Nieweg in der Photographischen Sammlung der SK Stiftung im Mediapark – kunst & gut 11/23

„Das sind keine elitären Räume“
Künstlerin Rike Hoppse und Mitorganisatorin Lea Geraedts über die 18. KalkKunst – Interview 10/23

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!