Als die Lumiérès 1896 in Paris die ersten Filme zeigten, begeisterte McCay in New York die Menschen mit seinen Bildgeschichten auf den letzten Seiten der Tageszeitungen. Vom Vater, der die Zeitung kaufte und deshalb als erster die Strips lesen durfte, über die Mutter bis hin zu den Kindern begeisterte sich die ganze Familie an Serien wie „Little Nemo in Slumberland“ oder „Dream of the Rarebit Fiend“, mit denen Winsor McCay die Comics in ein Massenmedium verwandelte.
Von Beginn an handelte es sich um Erwachsenen-Comics, in denen es durchaus deftig, grausam und später auch ziemlich politisch zuging. Der stets elegant gekleidete McCay verstand sich meisterlich auf die Entwicklung charaktervoller Gesichter und die Darstellung von Körpern in Bewegung und Pose. Die über 100 Leihgaben in Troisdorf legen Zeugnis ab von seinem kühnen Umgang mit dem Bildaufbau. Sein Spiel mit der Perspektive wirkt heute noch virtuos und weitaus innovativer, als alles, was zu jener Zeit von den Filmpionieren mit schwerfälligen Kameras gedreht wurde. Von Winsor McCay kann man heute noch lernen, wie Menschen visuell zu überraschen sind.
In seinen Geschichten führte er unablässig einen Dialog mit den Lesern, spricht zu ihnen oder irritierte sie etwa, in dem eine der Figuren im Bild verhungert, weil er nicht bereit ist, ihr etwas zu essen zu zeichnen. Von Winsor McCay, dem erklärten Vorbild des Disneys, stammten denn auch die ersten Animationsfilme aus den Jahren 1911 und 1912. Über 10.000 Zeichnungen fertigte er für einen einzelnen Film an seinem Zeichenbrett an. Wahrhaft ein Tausendsassa als Zeichner, Tüftler und Intellektueller. Denn während Sigmund Freud 1900 seine Traumtheorie veröffentlichte, publizierte McCay ab 1905 täglich seine Serie „Dream of the Rarebit Fiend“. Der „Rarebit Fiend“ war ein Käsetoast, nachdem die Menschen damals ebenso süchtig waren, wie heute nach Chips oder Hamburgern. Einer geht immer noch, war die Devise, und bei Winsor McCay bestehen die Folgeerscheinungen der Völlerei aus Alpträumen, die er dann zeichnete. Wobei sich harmlose Alltagsphänomene zumeist monströs auswachsen.
Manisches Verhalten faszinierte McCay auf besondere Weise, wobei die Träumer im dramatischsten Moment erwachen und sich so in die Realität retten. Über die Traumschiene ließen sich in späteren Jahren auch politische Inhalte mit beißender Ironie darstellen. Winsor McCay starb 1934 mit 62 Jahren an einer Gehirnblutung. Kurator Alexander Braun gibt mit der Ausstellung in Troisdorf eine Vorstellung von der Präzision, mit der McCay arbeitete und er zeigt, auf welch hohem Niveau sich sowohl die skurrilen Sujets der Comics bewegten als auch der technische Apparat der Zeitungsdruckereien. Heute noch versetzt die Brillanz der farbigen Seiten, die nur Sonntags erscheinen konnten, in Erstaunen. Zur Ausstellung präsentiert Alexander Braun unter dem Titel „Winsor McCay 1896 – 1934. Comics, Filme, Träume“ eine opulente Monographie (Bocola Verlag, Bonn. 49 Euro)
Winsor McCay | Ausstellung bis 4. März 2012. | Bilderbuchmuseum Burg Wissem Troisdorf | www.burgwissem.de
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