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Mathilda Prall
Foto: Studio Photo Shootmedia Atelier Brooklyn Toulouse c/o

Zur Ironie gehört Empathie

25. April 2023

Sensationelles Romandebüt von Mathilda Prall – Textwelten 05/23

Mini weiß nie, wie es ihr geht. Erkundigt sich eine Freundin nach ihrem Befinden, kann sie nicht antworten, obwohl in ihrem Kopf sofort ein Gedankenkarussell in Bewegung gerät. Vor allem quält sie die Frage, ob das, was sie denkt und fühlt, richtig ist. Mini ist Anfang zwanzig, lebt in einer Art WG. Sie hat ziemlich oft Sex. Aber Sex bleibt für sie ohne Bedeutung und ist eher ein „Herumgestochere im Unterleib“, wie sie sagt. Mathilda Prall erzählt in ihrem Roman „Herzneurosen“ von dieser Mini, die von Selbstzweifeln gepeinigt wird, zugleich aber große Sensibilität besitzt. Deshalb bleibt man ihr beim Lesen über 300 Seiten auf der Spur. Mini will dazugehören. In ihrem links-alternativen Umfeld sind Yoga und ein kritisches Bewusstsein obligatorisch. Obwohl Mini da nicht immer mithalten kann und dann gerne „Hm“ sagt, um nichts Falsches von sich zu geben. Da Mini nie so recht weiß, was sie will, vermag sie sich auch nicht abzugrenzen. Im Bett läuft es deshalb nicht immer so, wie sie es sich eigentlich wünscht.

Mathilda Prall ist selbst gerade erst zwanzig Jahre alt, liefert jedoch ein unglaubliches Romandebüt. Sie kennt sich nicht nur im Milieu ihrer Generation aus, sondern vermag es auch mit pointierter Ironie vor uns auszubreiten. Dieser distanzierte Blick bewährt sich dann im Psychogramm ihrer Protagonistin. Mini lässt sich von jeder Meinung beeindrucken. Als sie sich unbedarft für ein paar Fotos auf Instagram auszieht, gehen die Likes durch die Decke und mit ihnen ihr Selbstbewusstsein. Prompt lässt sie sich vor den falschen Karren spannen. Trotz dieser Blödheit empfindet man Zuneigung zu Mini. Mathilda Prall verrät ihre naive Heldin nicht, sondern nimmt ihre Orientierungslosigkeit ernst. Mini gehört zu den Menschen, die sich durch medialen Support leicht manipulieren lassen.

Dass Mathilda Prall mitunter ihren leichten, temporeichen Erzählton verlässt und kleinteilig in Situationen einsteigt, ist kein Fehler, sondern zeigt ihr beachtliches Talent, Situationen beziehungsreich zu entwerfen. Hier besitzt jemand die eine Menschenkenntnis, die geradezu unheimlich anmutet.

Mathilda Prall: Herzneurosen. | Schöffling & Co. | 336 Seiten | 22 €

Thomas Linden

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