Es sind wohl seine Hände, an denen sich für Laure das Verlangen entzündet. Die Vierzigjährige, Mutter von zwei Töchtern und Dozentin an der Pariser Uni, braucht für ein Symposium noch einen Vortragenden. Clément trifft sie in einem Restaurant. Dass er als Banker eine Rede im Kreise von Geisteswissenschaftlern halten soll, findet er skurril, geht aber auf den Vorschlag ein. Clément lebt als Single, einzige, aber wichtige Gesellschaft bietet ihm sein Hund. Umso mehr überrascht den stets dezent gelangweilten Fünfzigjährigen, dass Laure mit ihm ins Bett will, wie sie ihm in einer Mail nach dem Treffen gesteht. Ist es Liebe oder eher Begehren, oder beides? Jedenfalls verändert dieses „Feuer“ im Titel von Maria Pourchets neuem Roman so ziemlich alles im Leben der beiden. Zwar landen sie bald in einem Hotel, aber Clément fühlt sich stets ein bisschen überfordert von Laures heftigem Begehren. Die Sexualität ist für sie das Werkzeug, mit dem sie sich eine Tür aus ihrer bürgerlichen Komfortzone aufsprengt, um nicht an Überdruss zu sterben.
Dabei sitzt ihr der Feind in Gestalt ihrer spätpubertären Tochter Véra schon im Nacken. Ihr Name verrät es schon, Véra erinnert Laure an feministische Wahrheiten und mütterliche Pflichten, die sie schuldbewusst vernachlässigt. Der Roman ist zweistimmig angelegt, stets wechseln sich Laure und Clément in der Kommentierung ihrer Begegnungen ab. Man ahnt, dass diese beiden keine Zukunft als Paar haben werden, je mehr man über ihre beiden Welten erfährt. Maria Pourchet lädt den Sex nicht mit erotischen Details auf. Ihr Interesse gehört dem Panorama dieser beider Leben. Bei Clément ist stets Land unter. Auch wenn der Kurs der Bank steigt, droht schon die Angst vorm nächsten Absturz. Ketzerisch blickt Pourchet auch auf Laure, deren feministisches Bewusstsein alle Winkel der gesellschaftlichen Unterdrückung ausgeleuchtet hat, und die doch in Mutterrolle und erotischer Abhängigkeit feststeckt. Es ist das Dilemma unserer Gegenwart, sich mit einer Realität herumschlagen zu müssen, die man gedanklich schon hinter sich gelassen hat, das dieser Roman mit beißender Ironie beschreibt. Und ein überraschendes Ende gibt es noch oben drauf.
Maria Pourchet: Feuer | A. d. Franz. Claudia Marquardt | Luchterhand | 318 Seiten | 24 Euro
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Liebe unter Kriegswaisen
Vera Teltz liest in der Kulturkirche Köln
Keine Angst vor Gewittern
„Donnerfee und Blitzfee“ von Han Kang – Vorlesung 09/25
Roman eines Nachgeborenen
„Buch der Gesichter“ von Marko Dinić – Literatur 09/25
Süß und bitter ist das Erwachsenwerden
„Fliegender Wechsel“ von Barbara Trapido – Textwelten 09/25
Geteilte Sorgen
„Lupo, was bedrückt dich?“ von Catherine Rayner – Vorlesung 08/25
Augen auf Entdeckungsreise
„Jetzt geht’s los!“ von Philip Waechter – Vorlesung 08/25
Eine wahre Fluchtgeschichte
„Wie ein Foto unser Leben rettete“ von Maya C. Klinger & Isabel Kreitz – Vorlesung 07/25
Die Kraft der Erinnerung
„Das Geschenk des Elefanten“ von Tanja Wenz – Vorlesung 07/25
Alternative Realität in Tokyo
„Tokyo Sympathy Tower“ von Rie Qudan – Literatur 07/25
Zart und kraftvoll zugleich
„Perlen“ von Siân Hughes – Textwelten 07/25
Bis zur Neige
„Der Durst“ von Thomas Dahl – Literatur 06/25
Flucht ins Metaverse
„Glühfarbe“ von Thea Mantwill – Literatur 06/25
Erste Male zwischen den Welten
„Amphibium“ von Tyler Wetherall – Literatur 08/25
Düster und sinnlich
„Das hier ist nicht Miami“ von Fernanda Melchor – Textwelten 08/25
Im Reich der unsichtbaren Freunde
„Solche Freunde“ von Dieter Böge – Vorlesung 06/25