Die Knöchel der Faust sind blutunterlaufen. Kein Zweifel, hier hat jemand mehr als einmal kräftig zugeschlagen. Das Cover des neuen Romans „Der Geschmack der Gewalt“ von Frank Bill lässt keine Fragen offen. Im Original trug der Roman den Titel „Donnybrook“ – der Name eines Volksfests in Irland, zu dem die Menschen von überallher zusammenströmten, um sich über zwei Wochen im Spätsommer hinweg bei Faustkämpfen und ungezügelten Schlägereien einmal so richtig auszutoben. Roh geht es aber auch in Amerikas Mittlerem Westen zu. Dort feiert das Spektakel seine Fortsetzung und Frank Bill erzählt uns von sechs Personen, die auf dem Weg sind zum Donnybrook im Süden von Indiana.
Angezogen vom Preisgeld der Wettkämpfe, die praktisch keine Spielregeln kennen, treffen Kämpfer und Gauner ein. Im Zentrum stehen Angus, der Meth synthetisiert, und seine schönes Schwester Liz. Sie ist die ewigen Schläge von Angus leid. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund Ned kassiert sie die Drogengewinne von Angus ein. Der totgeglaubte Angus verfolgt sie jedoch. Auch Whalen, der Sheriff ist hinter Angus her. Ein grausiges Verbrechen verdüstert Whalens Vergangenheit. Und dann ist da noch ein Geldeintreiber, der alle Handlungsfäden kreuzt.
Frank Bill ließ schon in seiner Kurzgeschichtensammlung „Cold Hard Love“ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er keine Gefangenen macht. Seine Geschichten sind geladen mit den Grausamkeiten körperlicher Gewalt, und sein Amerika zeigt eine verwahrloste Welt von Menschen, die ohne Arbeit aber mit Schusswaffen durchs Leben gehen. Die Stories von Männern, Frauen und Familien, die den gnadenlosen Gesetzen der Gewalt ausgeliefert sind und sich zugleich ihrer bedienen, verknüpft Bill zu einem Roman, der sich dennoch nicht in einer unterschwelligen Verherrlichung der Gesetzlosigkeit verliert. Frank Bill ist weder Zyniker noch verkappter Moralapostel. Er klagt nicht an, wenn er über die allgegenwärtigen Formen der Drogensucht oder der beinharten Brutalität im Hinterhof der USA schreibt. Der Roman streift Illusionen ab, begibt sich auf die Suche nach der Realität und bleibt doch immer an den Bildern orientiert, die einprägsam wie Filmszenen jeder Figur ihr Ambiente liefern. Dicht und temporeich liest sich das Gewebe der Schicksale, deren Spuren sich überschneiden und die dabei eine hammerharte Dramatik entwickeln. Frank Bill ist ein Autor, der das Handwerk beherrscht und physische Auseinandersetzungen präzise beschreiben kann. Ein Profi, der schnell zu jener Riege von Autoren aufgeschlossen hat, die in unseren Tagen zu den hartgesottenen zählen. Deshalb ist die Übersetzung von Johann Christoph Maass auch ein Glücksfall, weil sich mit ihrer unprätentiösen Klarheit präzise auf Augenhöhe mit dem Original befindet.
Frank Bill: Der Geschmack der Gewalt. Deutsch von Johann Christoph Maass. Suhrkamp Nova, 230 S., 14,99 €
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