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John von Düffel
Foto: Katja von Düffel

„Ein enormer Druck für die Kinder“

31. März 2020

John von Düffel über Fridays for Future und seinen Roman „Der brennende See“ – Interview 04/20

In seinem kürzlich erschienenen Gegenwartsroman „Der brennende See” thematisiert John von Düffel Klimaaktivismus und das Erbe der älteren Generationen an die Fridays for Future-Generation. Der Autor war Anfang März im Literaturhaus Köln zu Gast und erklärte uns im Interview die Verpflichtung der Literatur, auch über das Hässliche zu schreiben, wie der Klimawandel Kindheit verändert und warum wir mehr Naturerfahrungen brauchen.

choices: Herr von Düffel, in Ihrem neuen Roman schauen Sie auf das Wasser von einer ganz anderen Perspektive als in bisherigen Werken wie „Vom Wasser“ (1998). Statt poetischer Naturbeschreibungen finden sich dort verdorrte Landschaften, verschmutzte Seen…

John von Düffel: Für mich hat sich das Wasserelement verändert: Es ist von einem poetischen zu einem politischen geworden. Es ist ja auch unser Lebenselement. Wenn wir auf einem Planeten Leben suchen, dann ist die Feststellung, dass es dort Wasser gibt, die Grundbedingung dafür, dass dort Leben sein kann. Und wenn wir davon sprechen, dass unsere Wegwerfgesellschaft und das System, so wie es ist, unsere Lebensgrundlage zerstört, dann zerstört sie vor allem das Wasser.

Gab es einen konkreten Auslöser für diesen Roman, einen springenden Moment?

Für mich war der Auslöser für „Der brennende See“, dass in Indien buchstäblich die Seen brennen. Erst wollte ich nach Indien fahren und dort recherchieren, aber dann habe ich durch die heißen Frühjahrsmonate, die wir hier erlebt haben, gesehen, dass die Seen nicht nur in Indien brennen, sondern auch in Deutschland. Wir haben erhebliche Verluste an Grundwasser, Seen zeigen immer größere Trockenränder, Flüsse niedrige Wasserstände, und die Menge an Süßwasser, die es auf der Welt gibt, ist begrenzt. Wenn wir es verbrennen lassen oder verschmutzen, dann landet das später wieder bei uns. Wir sehen vor unseren eigenen Augen die Zeichen. Ich hätte nie gedacht, dass die Natur, wie wir sie jetzt erleben, jemals so aussehen würde. Ich habe das eigene Land nicht mehr wiedererkannt. Und diese Veränderung wird immer größer werden – die Natur wird nie mehr so sein, wie sie war. Das ist ein Thema mit dem wir uns über Generationen auseinandersetzen werden.

Ein weiterer Auslöser war meine Tochter. Wenn ich ihre Kindheit zu meiner vergleiche, in Punkt Naturnähe und wie sie Stadt und Umwelt erlebt, dann denke ich wirklich, dass ihr da etwas fehlt – ihr ist etwas genommen worden, von dem ich, als ich jung war, als selbstverständlich ausgegangen bin. Früher haben wir auch schon über Umweltthemen diskutiert, aber es ist etwas ganz anderes, ob die Proteste von langjährigen Studenten geführt werden oder ob es Schulkinder sind, die auf die Straße gehen. Wenn die Polizei anfängt Wasserwerfer gegen Kinder einzusetzen, dann ist die Perversion der Gesellschaft ja offensichtlich.

Geht ihre Tochter auch schon für Fridays for Future auf die Straße, so wie die Klimaaktivistin Julia in Ihrem Roman es tut?

Ja, sie war von Anfang an dabei und ich sehe, dass es eine enorme Belastung und ein enormer Druck für die Kinder ist. Kinder müssen die Erwachsenen eigentlich nicht an ihre Verantwortung erinnern. Die Sorglosigkeit, die ja eigentlich ein Kindheitsmerkmal sein sollte, geht verloren. Klimawandel ist ein Handlungsproblem auf ganz vielen Ebenen und die eine Ebene schiebt den Ball immer wieder zu der anderen. Und so fühlt sich niemand aufgefordert zu handeln. Dabei sollte es das Umgekehrte bedeuten: dass alle handeln müssen. Vielleicht ist es außerdem so, dass wir Erwachsenen eine gefährliche Routine im Abwehren von diesen Impulsen, die ja eigentlich Handlungsimpulse sind, entwickelt haben. Man hat sich ein dickes Fell zugelegt, und das ist keine gute Art der Abwehr mehr, weil man so dem Notwendigen nicht nachkommt.

Das Buch zu schreiben war Ihre Art von der literarischen Ebene her zu handeln?

Ich habe erlebe, dass es einerseits die Sprache der Wissenschaft gibt, die über das Thema ausführlich berichtet, die Sprache der Medien, der Talkshows und der Stammtische, aber dass es keine Sprache für das gibt, was wir jetzt gerade vor unseren Augen sehen – keine gemeinsame Sprache. Außerdem findet man, wenn man mit jemandem spricht, schnell heraus, aus welcher Position das Gegenüber spricht, steckt ihn in ein Lager und hat so schnell gar keine richtige Diskussion mehr, sondern nur noch einen Frontverlauf.

In Ihrem Roman weisen Sie auf einen drohenden Generationenkonflikt hin, der durch die Klimadebatte entstehen könnte. Die Freundschaft zwischen der jungen Klimaaktivistin und dem verstorbenen Schriftsteller zeigt hier aber auch eine positive Verbindung zwischen den Generationen. Versuchen Sie damit den Konflikt zu besänftigen?

Ja, denn es gibt ja auch ein bestimmtes Erbe der älteren an die jüngere Generation, an Wissen, Erkenntnis und politischem Engagement. Wenn man mal an die Anti-AKW-Proteste denkt, an die Diskussionen über das Waldsterben… die junge Aktivistin Julia im Roman ist sozusagen die eigentliche Erbin dieses Engagements. Meine, die mittlere Generation, hat es sozusagen übersprungen, und von sich aus nicht angefangen zu handeln. Auf den Demonstrationen, auf denen ich war, gab es neben all den Studenten einen großen Anteil an älteren und grauhaarigen Menschen, in denen noch eine ganz alte Protestkultur wirkt. Die große Sehnsucht ist nach einem gemeinsamen Weg – nur so geht es. Wenn das aber nicht gelingt, kann es auch ganz anders laufen, in Form einer Radikalisierung und eines Generationenkonflikts mit heftigsten Ausmaßen.

Sehen Sie eine Radikalisierungen der jungen Generation als negativ oder notwendig?

Im Roman stelle ich diese Frage nur in den Raum, aber persönliche denke ich, dass die Grenzen des Ungehorsams noch weiter ausgereizt werden müssen, damit sich etwas verändert. Die Politik in Form dieses Teil-Entgegenkommens, dieses „Bald geht ihr wieder zur Schule“, dieses „Ach, die werden auch älter“, sitzt diesen Konflikt mit ein paar Alibi-Kompromissen aus. All diesen Leuten muss man sagen: Ihr habt es nicht verstanden! Fridays for Future geht, wie der Name schon sagt, um das Gesamtpaket Zukunft, mit allem was dazugehört.

In Ihrem Roman schrieb der verstorbene Schriftsteller sein letztes Buch über das Aussterben der Wolken — wie kamen Sie auf das Thema?

Das Buch spielt in dem Monat April und in den letzten beiden Aprilmonaten gab es so gut wie keine Wolken am Himmel. Die Wissenschaft hat bereits darüber diskutiert, wie es gelingen könnte, die wenigen Wolken, die es noch gibt, zum Regnen zu bringen. Außerdem trifft sich in Wolken das Politische und das Ästhetische. Ich glaube, dass unser Verhältnis zur Natur ein sehr entfremdetes ist und dass wir einen anderen, bewussteren Umgang mit der Natur schaffen müssen, indem wir uns der Schönheit dieser bewusst werden. Eine Wolke ist ein Kunstwerk, so wie ein Baum oder ein Fluss.

Ein bewussteres Erleben der Natur und deren Ästhetik könnte somit die Lösung sein?

Ja, und ein Gefühl der Verbundenheit zu registrieren. Letztlich sind wir auch nur Natur. Ich denke, ohne diesen Bezug, diese Verwurzelung zur Natur kann man auch kein erfülltes Leben führen und nicht im Einklang mit den Dingen sein. Schwimmen in der Natur ist zum Beispiel eine geradezu physische Naturerfahrung. Es gibt so viel Glück, für das es gar nicht viel braucht.

Wie könnte man erreichen, dass die Gesellschaft dies realisiert?

In unserer Gesellschaft herrschte eine riesige Kluft zwischen Informationen und Erfahrungen. Die Erfahrung ist, dass wir vor dem PC oder Smartphone sitzen — aber wie werden die Informationen und das theoretische Wissen zu etwas Gelebtem? Und Erfahrung bedeutet ja nicht nur, dass etwas durch jemanden „hindurchrauscht”, sondern dass man es bewusst tut — und dass kann man zum Beispiel, indem man beginnt über das Erlebte zu reflektieren und eine Sprache dafür zu entwickeln. So wie ich begonnen habe über das Schwimmen zu schreiben. So wird aus reinem Machen eine Erfahrung. Ich glaube an das Buch und die Erfahrung des Lesens, die es ermöglicht, so eine Erfahrung mitzumachen. Mir haben Leser erzählt, dass Sie nach der Lektüre meiner Bücher plötzlich verstanden haben, warum Sie so gerne Schwimmen.

Aber geht, indem Sie das Wasser als politisches Element einsetzen, nicht auch etwas von dem Zauber der Natur, den sie in Romanen wie „Vom Wasser” beschreiben, verloren?

Auf jeden Fall. Von der literarischen Sicht gibt es auch immer wieder den Streit: Ist eine Literatur, die sich einmischt, noch Literatur oder schon Politik? Ich denke, in diesen Zeiten kann man das nicht mehr ausblenden. Literatur würde sich mitschuldig machen, würde sie sich nur mit dem Schönen beschäftigen und nicht über das Schreckliche reden. Naturbeschreibung ist inzwischen politisch geworden und Naturbeschreibung, die pathetisch und poetisch ist, kann man nur noch gelten lassen, wenn sie diesen politischen Aspekt mit einbezieht.

John von Düffel: Der brennende See | Dumont Verlag | 320 S. | 22 €

Interview: Sophie Mallmann

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