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Micheal Lieth und Jakob Stärker im Heilandt Café
Foto: Florian Holler

„Dem Text möglichst viel Raum geben“

17. September 2019

Michael Lieth und Jakob Stärker gründen Verlag Serie945756 – Interview 09/19

Auf der Bismarckstraße, mitten im Belgischen Viertel, befindet sich das Heilandt Café. Für den jungen Verlag Serie945756 ist das Café so was wie ein Hauptquartier. Jakob Stärker, neben Michael Lieth und Max Pietro Hoffmann einer der drei Gründer, sieht man hier auch öfter hinter dem Tresen. Dort, zwischen Kuchenvitrine und Trinkgeldkanne, wird nicht nur Kaffee, sondern auch der Debütroman des Verlags – „Unter Schluchten“ von Andreas Thamm – feilgeboten. Am Mittwoch kommt der Autor für eine Lesung nach Köln. Wo sonst, wenn nicht im Heilandt, soll sie stattfinden.

choices: Michael und Jakob, das erste, was bei eurem Verlag ins Auge sticht, ist wohl der Name: Serie945756. Nicht gerade besonders eingängig. Wie kam es dazu?
Michael Lieth:
Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Es war so, dass wir uns nicht immer wiederfinden konnten in der Gestaltung, die man so gemeinhin in der Buchhandlung sieht. Das ähnelt sich schon relativ stark. Es gibt viele Cover, bei denen man nicht wirklich auf die Programmatik des Verlags schließen kann, die sehr bebildert und bunt sind. Deswegen haben wir uns gesagt: Lass uns gute Literatur veröffentlichen, die uns selber gefällt. Aber mit einer starken Reduktion auf den Text. Keine fancy Autorenbilder, die man schon so oft gesehen hat, keine Vorwegnahme des Textes über eine gewisse Formgebung hinaus. Deswegen sind unsere Bücher auch in Schwarz-Weiß gehalten. Für den Namen brauchten wir dann mehrere Anläufe. Die Zahlenfolge geht auf die ISBN zurück, die den Verlag kennzeichnet. Auch da sieht man: Wir wollten möglichst alle Assoziationen auflösen, die irgendwie mit der Vorwegnahme des Textes einhergehen. Natürlich: Das kann man nie ganz, man kann nicht nicht kommunizieren. Auch reduziert gestaltete Bücher sprechen eine gewisse Sprache und wecken Erwartungen und Assoziationen. Aber es stand immer die Frage im Mittelpunkt: Wie kann man dem Text möglichst viel Raum geben? Wir hatten sogar überlegt, den Text direkt auf dem Cover beginnen zu lassen.


© Serie/Max Pietro Hoffmann

Gibt es Verlage die euch als Vorbilder dienen?
Jakob Stärker:
Also Vorbild ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Als kleines DIY-Projekt macht es wenig Sinn sich mit Größen wie Suhrkamp zu vergleichen. Wir versuchen da eher unsere eigene Schiene zu fahren. Aber natürlich hat man so seine Lieblingsverlage. Bei mir sind das Hanser, Mathes und Seitz oder eben Suhrkamp. Es gibt aber auch tolle kleine Verlage, deren Arbeit ich sehr schätze: den Verbrecher Verlag oder Blumenbar zum Beispiel.
Michael Lieth:
Trotzdem kann man schon sagen, dass wir, als wir das Projekt angedacht haben, stark von Suhrkamp inspiriert waren. Einfach was den Intellekt des Ganzen betrifft, aber auch die von Willy Fleckhaus geprägte Designsprache. Das war schon was, das uns in seiner Reduziertheit und Klarheit angesprochen hat. Da kommen zwei Sachen zusammen: das Design und die Inhalte. Wobei das, was Jakob sagt, natürlich richtig ist, dass wir uns nicht vergleichen wollen. Das wäre ja total anmaßend. 

Der Verlag ist, wie ihr auf eurer Homepage erzählt, als Abschlussarbeit an der KISD entstanden. Also einer Design-Hochschule. Was macht gutes Design für euch aus?
Michael:
Über diese Frage könnte man wahrscheinlich eine Podiumsdiskussion über drei Tage laufen lassen. Aber das Grundprinzip ist für mich nach wie vor: form follows function. Sich zunächst die Frage zu stellen: Was sind die Inhalte, worum geht es im Kern? Und dann eine Übersetzung in eine Form zu finden, die diesen Inhalten bestmöglich gerecht wird. Diese Übersetzung ist aber nie rein technisch, sondern hat immer auch einen poetischen Aspekt.

Die Serie ist ein „Verlag für erste Literatur“. Ihr sucht also zielgerichtet nach Debütanten. Warum diese Selbstbeschränkung?
Jakob:
Bei den großen etablierten Verlagen ist es so, dass pro Halbjahr ein bis zwei Plätze für Debütanten da sind, was sehr wenig ist. Einfach weil Debütanten sich eher schlecht verkaufen oder zumindest ein großes Risiko besteht. Da rutscht sehr viel Literatur unten durch. Deswegen haben wir den Ansatz, eine Bühne zu schaffen, wenigstens für ein paar Autoren, soweit es uns möglich ist.
Michael:
Wir glauben, dass es großartige Literatur gibt, die aus verschiedensten Gründen noch nicht den Weg in die Verlage gefunden hat. An dieser Stelle wollen wir uns engagieren.

Für euch steht großer wirtschaftlicher Gewinn nicht im Vordergrund. Die Vorteile, nicht nur aufs Geld achten zu müssen, habt ihr gerade geschildert. Soll sich das trotzdem irgendwann ändern?
Michael:
Zunächst ist der Verlag für uns alle ein Hobby. Aber es ist schon die Idee, dass wir am Ende eine schwarze Null stehen haben. Es ist uns also nicht komplett egal, ob wir Geld verdienen. Nicht zuletzt auch aus Verantwortung gegenüber dem Autor.

Der Autor eures ersten Buches heißt Andreas Thamm, der Roman „Unter Schluchten“. Was ist das für ein Buch?
Jakob:
Das Buch wirkt zunächst wie eine klassische Krimigeschichte. Es geht um einen Serienmörder, der durch die Lande reist und auf der Flucht ist. Vor was er da flüchtet, weiß er eigentlich selbst nicht. Berichtet wird aus der Perspektive dieses Serienmörders. Und dadurch sympathisiert man automatisch mit ihm, ist gleichzeitig aber natürlich auch abgestoßen.  Diese Konfrontation macht den Reiz aus.
Michael:
Wobei ich das relativieren würde, mit dem Sympathisieren. Auch wenn man mit jedem Protagonisten, dem man durch ein Buch folgt, in eine Beziehung tritt – Fakt ist: Joseph ist ein bestialischer Mörder, mit allem was dazugehört. Aber dieses Aushalten zwischen Identifikation und Abgestoßen-Sein ist sicherlich eine Qualität. Manchmal liest man Passagen, die einen vergessen lassen, wer der Protagonist ist und plötzlich kippt das Ganze und man denkt sich: du krankes Schwein!  

Wie geht’s weiter? Habt ihr schon ein zweites Buch in Planung?
Jakob:
Erstmal soll das Buch natürlich unter die Menschen. Darum geht’s gerade. Alles weitere sieht man dann.
Michael:
Wir kriegen immer wieder Manuskripte zugesendet. Und eins hat uns da schon sehr gut gefallen. Aber da muss man erstmal abwarten. Das Hauptaugenmerk liegt grade auf dem Vertrieb. Was wir aber auch spannend finden, wäre es, Formate zu entwickeln, die Literatur wieder mehr in die Öffentlichkeit tragen, um so auch nochmal die Klientel auszuweiten und für Bücher und literarische Themen zu sensibilisieren. Ich habe das Gefühl, dass wir in einer, so kann man es ja überall lesen,  sehr achtsamen Gesellschaft leben, die momentan viel nach Innen blickt und sich fragt wie sie funktioniert, wie Beziehungen funktionieren, was eigentlich Schwächen bedeuten und so weiter. Das sind ja eigentlich urtypische Themen der Literatur. Mir ist noch nicht ganz klar wie, aber da einen Anknüpfungspunkt, eine Öffnung zu finden, das wäre toll.

Andreas Thamm: Unter Schluchten | Serie945756 | 296 S. | 15 €

Lesung im Heilandt Café | Mi 18.9. 10.30 Uhr | Bismarckstraße, Eintritt frei

Interview: Florian Holler

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